Globales Netz für Klimagerechtigkeit
Für internationale Solidarität und Verständigung in der Klimakrise
Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten weltweit kämpfen für Klimagerechtigkeit und Frieden. Doch die Stimmen derjenigen, die von Umweltzerstörungen und den Auswirkungen des Klimawandels besonders betroffen sind, werden im Diskurs noch zu selten gehört. Auch wenn die Gegebenheiten nicht vergleichbar sind, haben der globale Norden und Süden doch eins gemeinsam: Sie sind – auch im Einsatz für Klimagerechtigkeit – voneinander abhängig. Daher sollten sie sich künftig stärker zusammentun. Veränderungen sind nur durch globale Solidarität zu erreichen. Dafür setzt sich auch der Zivile Friedensdienst ein, zum Beispiel durch die Begleitung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern (MRV) über den ZFD-Träger peace brigades international (pbi).
Seit Jahrhunderten schon sind die Menschen im globalen Süden gezwungen, sich gegen destruktive Eingriffe in ihren Lebensraum zu wehren. Ihr Kampf gegen die Zerstörung beruht auf einer existentiellen und nicht selten spirituellen Verbindung mit der Natur. So auch in Lateinamerika. Berge, Flüsse und Land sind den Kleinbäuerinnen und -bauern und den indigenen Bevölkerungsgruppen heilig. Sie sind das kulturelle Erbe ihrer Vorfahren, bedeuten natürlichen Reichtum und dienen als Lebensquelle für ihre Gemeinschaften. Durch den Klimawandel verlieren die Menschen vielerorts nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern auch einen Teil ihrer Identität. Paradoxerweise gefährden auch Maßnahmen zum Klimaschutz, wie der großflächige Anbau von Palmöl und Soja zur Herstellung von „Biosprit“ oder die scheinbar umweltfreundliche Nutzung von Wasserkraft, die dort ansässigen Gemeinschaften.
In rohstoffreichen Ländern kommt erschwerend hinzu, dass das wirtschaftliche Interesse an Bodenschätzen wie fossilen Brennstoffen, Metallen und Erzen in den vergangenen Jahrzehnten enorm gestiegen ist. Multinationale Unternehmen treiben eine immer stärkere Ausbeutung der natürlichen Ressourcen voran. Unter dem Deckmantel von Armutsbekämpfung und Entwicklung spielen mitunter auch staatliche Stellen eine Rolle bei Abbau und Export dieser Rohstoffe. Die Rechnung geht jedoch häufig nicht auf: Kurzfristig mögen die Projekte zum Wirtschaftswachstum mancher Regionen und Länder beitragen. Doch der Schaden, den sie verursachen, ist mit Geld nicht aufzuwiegen. Konflikte sind in den betroffenen Regionen programmiert. Die Auswirkungen auf die Umwelt sind oft irreversibel und der Lebensraum der indigenen Gemeinschaften wird vernichtet oder erheblich beeinträchtigt. Historisch gewachsene Machtverhältnisse und bestehende Ungerechtigkeiten werden dadurch weiter verschärft. Die indigene Bevölkerung erlebt bereits seit Jahrhunderten Diskriminierung und Ausgrenzung. Ihre Lebensbedingungen sind vielfach ohnehin schon prekär.
Guatemala: Wer sich engagiert, lebt gefährlich
Begeben wir uns in den Norden von Guatemala. Dort siedeln sich immer mehr multinationale Konzerne an. Flüsse werden für Staudammprojekte umgeleitet, sodass selbst in wasserreichen Gebieten, wie in der Region Alta Verapaz, das Trinkwasser knapp wird. Doch einige Menschen setzen sich hier zur Wehr. „Der Fluss Cahabón ist heilig, schon unsere Großeltern haben uns beigebracht, ihn zu respektieren,“ sagt Bernardo Caal Xól, der sich als Wortführer der Resistencia Pacífica, des friedlichen Widerstands von Cahabón, für die Bevölkerungsgruppe Maya Q’eqchi einsetzt. Seit 2018 sitzt der Lehrer und Gewerkschafter eine mehr als siebenjährige Haftstrafe ab. Der Vorwurf: schwerer Diebstahl und Freiheitsberaubung. Doch die Verurteilung entbehrt ihrer juristischen Grundlage – die Beweislage ist dürftig, die Zusammenhänge konstruiert. „Sie dachten wohl, wenn sie den Sprecher der Bewegung einsperren, werden sie uns zum Schweigen bringen. Doch das haben sie nicht erreicht,“ sagt Caal Xól in einem Interview aus dem Gefängnis. Sowohl nationale, als auch internationale Organisationen, darunter die UN, sehen in seiner Verhaftung einen symbolischen Fall von Kriminalisierung der MRV in Mittelamerika.
Zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten leisten in Lateinamerika Widerstand gegen Megaprojekte, bei denen die Gemeinden nicht vorher zu ihren Vor- und Nachteilen konsultiert und über ihr Mitspracherecht informiert wurden, wie es die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorschreibt. Neben der Beteiligung am staatlichen Entscheidungsprozess, garantiert sie den indigenen Bevölkerungsgruppen das Recht auf Wahrung ihrer sozialen und kulturellen Identität sowie auf Land und Ressourcen.
Doch seit Jahren nimmt die Einschränkung der Zivilgesellschaft in der Region zu. Aktivistinnen und Aktivisten werden oft gezielt diffamiert und attackiert. Hohe Haftstrafen wegen der Beteiligung an Demonstrationen, jahrelange Untersuchungshaft ohne Aussicht auf faire Verfahren, Verbot und Verfolgung von Menschenrechtsorganisationen – das sind nur einige Facetten der drastisch zunehmenden Kriminalisierung von MRV.
Da die Repressalien immer häufiger durch die Umsetzung teils verfassungswidriger Gesetze erfolgen, wird ihnen ein Anschein von Legitimität gegeben. Menschen, die sich für ihre Gemeinschaft engagieren, werden schnell in ihre Schranken verwiesen, wenn sie gegen staatliche oder unternehmerische Interessen aufbegehren.
Die traurigen Fakten: Zwischen 2002 und 2017 ist die Zahl der weltweit ermordeten Umweltaktivistinnen und -aktivisten von zwei auf vier Morde pro Woche gestiegen. 2019 wurden 212 Menschen wegen ihres Engagements getötet. Und das sind nur die Fälle, die offiziell angezeigt wurden. Mehr als zwei Drittel der Morde ereigneten sich 2019 in Lateinamerika, davon 12 in Guatemala und 14 in Honduras.
Die Konvention 169 trat 1991 in Kraft. Bislang wurde sie von nur 24 Staaten ratifiziert, darunter aber seit 1995 bzw. 1996 Guatemala und Honduras. Im April 2021 hat auch der Deutsche Bundestag beschlossen, die Konvention 169 als verbindliches Abkommen anzuerkennen, um die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen weltweit zu stärken.
Honduras: „Wir müssen das schützen, was unsere Großeltern uns hinterlassen haben“
Rund 150 Kilometer Luftlinie östlich von Cahabón, im Nachbarland Honduras, liegt die Gemeinde Quimistán. Hier, inmitten ressourcenreicher Natur, ist Kevin Ramírez aufgewachsen. Seine Dorfgemeinschaft lebt vom Land, das ihr Kardamom, Mais und Bohnen gibt. „Aber wir lieben auch das Land selbst. Denn wir fühlen uns mit dem Wasser verbunden, verbunden mit Mutter Erde, verbunden mit der gesamten Natur, die Gott uns gegeben hat“, schildert er. Im Jahr 2013 wurde in der Region mit dem Bau von Wasserkraftprojekten begonnen. Der Einsatz von Sprengstoffen um Platz für die Staudämme zu schaffen, führte zu erheblichen Umweltproblemen – das Wasser wurde verschmutzt und etliche Fische und andere Tiere getötet.
Genau wie in Guatemala breiten sich auch in Honduras multinationale Unternehmen immer weiter aus: Bereits ein Drittel des Landes ist in ihrem Besitz. Immer mehr Kleinbäuerinnen und -bauern sowie die indigene Bevölkerung sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, weil ihr Lebensraum vereinnahmt oder zerstört wird. Beide Länder gehören zudem für Umweltaktivistinnen und -aktivisten zu den gefährlichsten Ländern der Welt. Etliche Menschen, die ihre Umwelt gegen destruktive Baumaßnahmen verteidigt hatten, wurden bereits ermordet, bedroht oder sitzen in Haft.
Auch im Falle von Quimistán gab es destruktive Eingriffe in die Natur. Und auch hier wurden die Betroffenen nicht vorher konsultiert. Mindestens 15 Gemeinden wurden durch die einhergehende Privatisierung von Wasser und Land bis heute stark beeinträchtigt oder gar zerstört. Für Ramírez, der seit 2018 von ZFD-Träger pbi begleitet wird, ist klar, „wenn wir uns hier nicht wehren, gibt es niemanden, der das schützt, was unsere Großeltern uns hinterlassen haben.“ Und genau dies tut er Tag für Tag: Gemeinsam mit 27 anderen betroffenen Gemeinden setzt er sich in der Vereinigung zur Verteidigung der Gemeingüter von Quimistán (ASODEBICOQ) friedlich für den Schutz ihrer Rechte ein. Um die Gemeinschaften beim Widerstand gegen große Bauprojekte zu unterstützen, bietet die Vereinigung Trainings an, damit die Menschen ihre individuellen und kollektiven Rechte in öffentlichen Konsultationen einfordern und informierte Entscheidungen über den Abbau der natürlichen Ressourcen treffen können. So hofft Ramirez, seine und alle anderen betroffenen Gemeinschaften zu stärken und ihre Stimmen lauter werden zu lassen – auch damit sich die Familien weiterhin selbst versorgen können.
Geschlechtsspezifische Risiken: „Wir kämpfen für das, was uns gehört“
Was es bedeutet, sich als MRV zu engagieren und gleichzeitig von sich überschneidenden Formen von Diskriminierung betroffen zu sein, weiß Lilian Borjas aus Honduras: „Es sind Frauen, die jeden Tag mit der Armut konfrontiert sind. Und es sind Frauen, die Wasser holen müssen, um ihre Kinder zu baden.“ Neben ihren familiären Aufgaben gehen sie große Risiken für ihr soziales Engagement ein. Denn zusätzlich zu den Gefahren als MRV kriminalisiert zu werden, werden sie auch aufgrund ihres Geschlechts häufiger stigmatisiert und bedroht. Seit sie als 15-jährige mit ansehen musste, wie ihr Vater festgenommen wurde, setzt auch Borjas sich für die Rechte ihrer Gemeinde ein. Als Mitglied der Gewerkschaft für Landarbeiterinnen und Landarbeiter CNTC führte sie 2013 selbst die Landbesetzung eines als Gemeindeeigentum bestätigten Gebiets gegen angebliche Eigentümer an. Seit ihrer Festnahme zieht sich der Fall hin – ihr drohen nach wie vor zehn Jahre Haft. Doch sie bleibt unermüdlich: „Wir stellen uns als Frauen den Bergbauunternehmen entgegen, weil wir die natürlichen Ressourcen brauchen. Wir kämpfen für das, was uns gehört.“ So unterstützt sie die betroffenen Gemeinschaften dabei, sich zu organisieren und sich für ihre Rechte einzusetzen.
Klimaaktivismus braucht Solidarität
Der Kampf für Klimagerechtigkeit betrifft nicht nur einen Teil der Erde. Auch wenn sich der Kontext, das Ausmaß der Klimawandelfolgen und vor allem die Repressionen gegen Aktivistinnen und Aktivisten stark unterscheiden, haben die Klimabewegungen des globalen Nordens einige Schnittpunkte mit den Widerstandsbewegungen des Südens. Die Motivation für ihre Aktionen ist vergleichbar, etwa, wenn für Autobahnen oder Energiekonzerne Wälder gerodet und Dörfer zwangsumgesiedelt werden. In vielen Fällen nutzen oder zerstören Unternehmen auch im globalen Norden die natürlichen Ressourcen und tragen zur Verschmutzung der Umwelt bei. Diese Berührungspunkte können zum Anlass genommen werden, eine gemeinsame Vision von Klimagerechtigkeit zu entwickeln und die erforderlichen strukturellen Veränderungen zu ihrer Verwirklichung anzustoßen. Da sowohl Frieden als auch Klimagerechtigkeit nur erreichbar sind, wenn sie global gedacht werden, spricht viel dafür, sich zusammenzutun: Der Erfahrungsaustausch, die größere Wirkmacht, die die Bewegungen durch gegenseitige Solidarität und praktische Unterstützung erreichen und nicht zuletzt auch die Verantwortung, die der globale Norden, als Hauptverursacher der Erderwärmung gegenüber den Hauptbetroffenen der Klimakrise hat.
Die Augen der Welt sind auf sie gerichtet
Aktivistinnen und Aktivisten wie Bernardo Caal Xól, Kevin Ramírez und Lilian Borjas können von zahlreichen Übergriffen wie Verleumdung, Bedrohung und Kriminalisierung berichten. Trotzdem sind sie davon überzeugt, dass globale Solidarität sie und ihre Gemeinschaften schützen und stärken kann. Ob durch internationales Engagement, den Druck auf nationale Behörden oder eine weitgreifende Berichterstattung: Klima- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten des globalen Südens brauchen weltweite Unterstützung, um ihren Lebensraum weiterhin verteidigen zu können. Die pbi-Schutzbegleitung und Advocacy-Arbeit leisten hierbei einen besonderen Beitrag, Organisationen zu stärken, die von Repressalien betroffen sind und gefährdete Personen zu schützen. Dadurch können sie ihre für Klima, Gerechtigkeit und Frieden so wichtige Arbeit fortsetzen. Aktivistinnen und Aktivisten werden dabei unterstützt, ihre Anliegen sichtbar zu machen und ihren Berichten und Klagen Gehör zu verschaffen.
Im Falle von Bernardo Caal Xól bekunden Organisationen auf der ganzen Welt ihre Solidarität – Amnesty International fordert weiterhin seine sofortige und bedingungslose Freilassung. Er selbst ist zuversichtlich: „Es bleibt die Hoffnung, dass die internationale Schutzbegleitung weltweite Aufmerksamkeit auf unsere Region lenkt und uns hilft, gemeinsam anzuklagen“. Zu wissen, dass nationale und internationale Organisationen seine Situation beobachten und ihn und andere Menschen, die den friedlichen Widerstand weiterführen, begleiten, gebe ihm Kraft.
Als Lilian Borjas zum ersten Mal von der Polizei aufgegriffen wurde, fühlte sie sich allein gelassen. Dank der Begleitung durch ZFD-Träger pbi sei sie nun sicherer: „Mit ihren grünen Westen und dem Logo sind sie Teil unseres Netzwerks.“ Diese Schutzbegleitung habe dazu beigetragen, die Fälle systematischer, geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Menschenrechtsverteidigerinnen in Honduras bekannter zu machen.
Auch Kevin Ramírez gibt die Hoffnung nicht auf. „Als wir früher zu den Verantwortlichen gingen, um unsere Rechte einzufordern, haben sie uns ignoriert, uns ausgelacht und sich über uns lustig gemacht“, beklagt er. Doch die Begleitung durch pbi habe ihn und die anderen MRV gestärkt: „Nun müssen sie vorsichtiger sein, denn sie wissen, dass wir nicht allein sind. Es ist klar, dass nicht nur wir, die Gemeinschaften sie beobachten, sondern auch die Augen der Welt auf sie gerichtet sind.“
Text: Heike Kammer, ZFD-Fachkraft, und Kristin Menzel, Referentin der Öffentlichkeitsarbeit bei pbi Deutschland; Fotos: pbi Guatemala, pbi Honduras & Manu Valcarce
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Weitere Informationen
Kurzportrait „Lilian Borjas, portrait d’une défenseure hondurienne“ | PBI France
Artikel „Tödlicher Umweltschutz“ (2019) | Verena Kern, klimareporter°
Projektbeschreibung zur Arbeit von pbi in Guatemala | Konsortium ZFD
Projektbeschreibung zur Arbeit von pbi in Honduras | Konsortium ZFD