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Konfliktbarometer 2021: Keine Entspannung

Während uns der Krieg in der Ukraine seit einem Monat tief erschüttert, zeigt das heute veröffentlichte „Konfliktbarometer 2021“ des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK):
Auch das vergangene Jahr war alles andere als friedlich.

Mit 355 Konflikten weltweit gab es 2021 annährend so viele politische Konflikte wie im Vorjahr (359), und auch das Ausmaß der Gewalt blieb auf hohem Niveau. Von den 355 politischen Konflikten wurden nach den Erhebungen des HIIK 204 gewaltsam ausgetragen; 2020 waren es noch 220. Im Vergleich zum Vorjahr ging auch die Zahl der Kriege von 21 auf 20 leicht zurück. Doch die Zahl der begrenzten Kriege („limited wars“) stieg von 19 auf 20. Und auch die unfassbar hohe Zahl von 20 vollumfänglichen Kriegen („full-scale wars) markiert einen traurigen Höchststand: Die zweithöchste Zahl an Kriegen, die innerhalb eines Jahres vom HIIK registriert wurde. Darüber tröstet auch nicht die Tatsache hinweg, dass dieses Ausmaß in den 2010er-Jahren bereits drei Mal erreicht wurde. Von Entspannung der weltpolitischen Lage kann also keine Rede sein.

Das Konfliktbarometer des HIIK erfasst jährlich qualitativ und quantitativ die Dynamiken politischer Konflikte weltweit, sowohl gewaltsamer wie auch gewaltloser Konflikte. Die gewaltsamen Konflikte werden gemäß der Methodik des HIIK entsprechend ihrer Intensitäten in gewaltsame Krisen, begrenzte Kriege und Kriege unterschieden. Der häufigste Konflikttyp in 2021 war, wie auch schon in den vorherigen Jahren, der innerstaatliche Konflikt. Etwas mehr als die Hälfte dieser innerstaatlichen Konflikte wurden als gewaltsame Krisen ausgetragen. Am häufigsten ging es dabei um ideologische Fragen, Vorherrschaft auf nationaler oder subnationaler Ebene sowie um Ressourcen. Bei 19 der als begrenzt oder vollumfänglich eingestuften Kriege spielten Ressourcenkonflikte eine wesentliche Rolle.

Die meisten Kriege in Afrika

Die Region mit den meisten Kriegen war wie im Vorjahr Subsahara-Afrika. Insgesamt wurden hier 6 begrenzte und 16 ausgewachsene Kriege beobachtet. Ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2020. Nur einige Schlaglichter auf gewaltsame Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent in 2021: In Äthiopien ging der Krieg zwischen der Tigray People's Liberation Front (TPLF) auf der einen Seite und der äthiopischen und eritreischen Regierung auf der einen Seite unvermindert weiter. Im Osten der Demokratischen Republik Kongo litten die Menschen weiterhin stark unter gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Laufe des Jahres wurden tausende Menschen getötet, und die Zahl der Binnenvertriebenen stieg auf insgesamt 5,6 Millionen. In Kamerun eskalierte der begrenzte Krieg um die Autonomie der anglophonen Regionen zu einem Krieg. Insgesamt haben die Zusammenstöße zwischen separatistischen Gruppen und der Regierung rund 600 Todesopfer gefordert, ein drastischer Anstieg im Vergleich zu 2020. In Nigeria stieg die Zahl der Kriege im Vergleich zum Vorjahr von zwei auf drei. Und in Tschad, Mali, Guinea und dem Sudan putschte das Militär, gefolgt von Protesten, die oft mit gewaltsamen Auseinandersetzungen einhergingen.

Der Zivile Friedensdienst unterstützt Partnerorganisationen in afrikanischen Ländern mit rund 120 Fachkräften dabei, Gewaltprävention und Friedensförderung voranzubringen. Vom Aufbau grenzübergreifender zivilgesellschaftlicher Netzwerke in den Anliegerstaaten der Großen Seen über Dialogprozesse zur Entschärfung von Land- und Ressourcenkonflikten in Äthiopien bis zur Unterstützung von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern in Kenia setzt sich der ZFD dafür ein, Konflikte ohne Gewalt zu regeln.

Die meisten Konflikte in Asien

In Asien und Ozeanien verzeichnete das HIIK im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit 2017 wieder einen Krieg: In Myanmar hatte das Militär im Frühjahr 2021 die amtierende Regierung abgesetzt und die Macht übernommen. Weit über 1.000 Menschen starben bei den darauffolgenden Auseinandersetzungen. Das Militär reagierte mit großer Härte und unterdrückte friedliche Proteste mit Gewalt. Insgesamt zählte das HIIK allein in Myanmar zehn mit Gewalt ausgetragene Konflikte in 2021, darunter zwei begrenzte Kriege und einen vollumfänglichen Krieg. Auch in anderen Regionen Asiens hat das Ausmaß der Gewalt in politischen Konflikten zugenommen. So beobachtete das HIIK einen Anstieg der begrenzten Kriege von vier auf sechs, darunter Grenzstreitigkeiten zwischen Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan. In den Philippinen stieg die Zahl der begrenzten Kriege von zwei auf drei. Insgesamt wurden 2021 in Asien und Ozeanien die meisten politischen Konflikte weltweit registriert. Von den 103 gezählten Konflikten wurden 54, also mehr als 50 Prozent, gewaltsam ausgetragen.

In Asien setzt sich der ZFD mit rund 70 Fachkräften unter anderem für die Verteidigung von Menschenrechten in Indonesien, für die Förderung der Friedensprozesse auf Mindanao im Süden der Philippinen und für eine starke Zivilgesellschaft in Nepal ein. Zur Lage in Myanmar haben die dort arbeitenden ZFD-Träger kürzlich den Beitrag Myanmar ein Jahr nach dem Putsch veröffentlicht.

Kriege wüten weiter – auch wenn die Berichterstattung nachlässt

Neben den erwähnten 16 Kriegen in Subsahara-Afrika und dem neu entfachten Krieg in Myanmar gingen drei Gewaltkonflikte in 2021 weiterhin mit einem Ausmaß an Brutalität und Zerstörung einher, das eine Einstufung als vollumfänglichen Krieg rechtfertigt. Es sind dies die Kriege in Afghanistan und Jemen sowie der Krieg gegen den sogenannten „Islamischen Staat“ im Irak, in Syrien und anderen Ländern. Im Konfliktbarometer werden diese Länder der Region „Westasien, Nordafrika und Afghanistan“ (WANA) zugeordnet. Auch wenn der Krieg in Afghanistan mit dem Abzug sämtlicher ausländischer Truppen Ende August 2021 offiziell endete, ist die Lage im Land auch seit der Machtübernahme durch die Taliban alles andere als friedlich. Im gesamten Jahresverlauf starben in Afghanistan über 10.000 Menschen durch gewaltsame Auseinandersetzungen.

Trotz allem: Die Hoffnung bleibt. Und das Engagement auch.

Im Jahr 2021 beobachtete das HIIK in Europa keinen Krieg. Der Konflikt in der Donbass-Region zwischen prorussischen Separatisten und dem ukrainischen Militär deeskalierte seinerzeit von einem begrenzten Krieg zu einer gewaltsamen Krise. Die aktuellen dramatischen Ereignisse in der Ukraine haben diesen Hoffnungsschimmer allerdings jäh erstickt.

Auch einen Monat nach Beginn des von der russischen Regierung befohlene Angriffs auf die Ukraine gehen die Kämpfe unvermindert weiter. Das Konsortium Ziviler Friedensdienst setzt sich auf politischer Ebene dafür ein, dass die zivilen Instrumente der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung nicht auf der Strecke bleiben. Auch die Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Partner läuft – so gut es eben geht – weiter. Fachkräfte des ZFD, die bis vor kurzem in der Ukraine tätig waren, haben Ideen zusammengestellt, wie sich jede und jeder für den Frieden in der Ukraine einsetzen kann.

Der Ukraine-Krieg wird sich also erst im „Konfliktbarometer 2022“ niederschlagen, da jeweils das Konfliktgeschehen des vorigen Jahres abgebildet wird. Schließen wir mit der Hoffnung, dass dieser Krieg dann schon längst wieder der Vergangenheit angehört.


Das „Konfliktbarometer 2021“ wurde am heutigen Freitag, 25.3.2021, veröffentlicht. Es ist bereits die 30. Ausgabe der alljährlich erscheinenden Konfliktanalyse des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK). In die Bewertung fließen sowohl quantitative Daten, wie zum Beispiel die Anzahl von Geflüchteten und Todesopfern, als auch qualitative Bewertungen mit ein, unter anderem der Grad der Zerstörung von Infrastruktur, Wohnraum und Wirtschaft. Aus dieser Vielzahl an Einzeldaten ergibt sich schließlich die Klassifizierung eines politischen Konfliktes vom „Disput“ bis hin zum „Krieg“. Insgesamt werden die Einschätzungen von rund 200 ehrenamtlichen Mitarbeitenden erstellt.

Das „Conflict Barometer 2021“ steht ab sofort zum kostenlosen Download auf der Internetseite des HIIK bereit (188 S., englisch, PDF, 5 MB).


Definition gewaltsam ausgetragener Konflikte laut HIIK:

Ein politischer Konflikt wird als gewaltsame Krise eingestuft, wenn in diesem physische Gewalt gegen Personen – oder gegen Sachen, falls damit die physische Verletzung von Personen billigend in Kauf genommen wird – durch mindestens einen der Akteure sporadisch angewandt wird. Die eingesetzten Mittel und Folgen sind dabei in ihrem Zusammenspiel gering.

Ein politischer Konflikt wird als begrenzter Krieg eingestuft, wenn in diesem physische Gewalt gegen Personen und ggf. gegen Sachen durch mindestens einen der Akteure auf ausgeprägte Weise angewandt wird. Die eingesetzten Mittel und Folgen sind dabei in ihrem Zusammenspiel erheblich.

Ein politischer Konflikt wird als Krieg eingestuft, wenn in diesem physische Gewalt gegen Personen und ggf. gegen Sachen durch mindestens einen der Akteure in massivem Ausmaß angewandt wird. Die eingesetzten Mittel und Folgen sind dabei in ihrem Zusammenspiel umfassend.

Weitere Details zur Methodik und Arbeitsweise des HIIK finden Sie hier.

Abbildung: Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK): CONFLICT BAROMETER 2021, S.12.