Veränderung als Chance für Frieden
Ökologische Friedensarbeit zur Bewältigung der Klimakrise in Kenia
Steigende Temperaturen, Dürren, Überschwemmungen – in Kenia ist der Klimawandel längst real und bedroht die Lebensgrundlagen der Menschen. Zugleich nehmen Konflikte um Ressourcen zu. Eine Studie der Kenianischen Bischofskonferenz und des Zivilen Friedensdiensts hat die Zusammenhänge von Klimakrise und Konflikten untersucht, um Konzepte für eine ökologische Friedensarbeit zu entwickeln.
Kenia ist aus mehreren Gründen besonders durch den Klimawandel gefährdet. Analysen des Weltklimarats zufolge erwärmt sich die Region etwa 1,5-mal so schnell wie der globale Durchschnitt. Während die Niederschlagsmengen insgesamt zurückgehen, nehmen saisonale Schwankungen zu. Mal regnet es zu spät, mal gar nicht. Dann wieder setzt Starkregen ganze Landstriche unter Wasser. Allein im Jahr 2020 mussten in Kenia mehr als 335.000 Menschen aufgrund wetterbedingter Katastrophen fliehen.
Fast 90 Prozent der Landfläche Kenias sind von ariden und semi-ariden Gebieten (von lat. aridus: trocken, dürr) bedeckt. Hier herrscht seit jeher ein überwiegend trockenes bis extrem trockenes Klima. Mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung sowie der Großteil des Wildtier- und Viehbestands leben in diesen Regionen. „Diese sensitiven Ökosysteme sind von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen“, so Silke Pietsch-Cooper, Koordinatorin des ZFD-Landesprogramms des ZFD-Trägers AGIAMONDO. „Und damit die Lebensgrundlagen der Menschen, vor allem im Norden.“
Ökosysteme in Gefahr
Beobachten lässt sich das zum Beispiel an den Seen Baringo und Bogoria, die im Projektgebiet der North Rift Peace Initiativ liegen, einer Initiative des Catholic Justice & Peace Departments (CJPD) der Kenianischen Bischofskonferenz. Beide Seen spielen eine wichtige Rolle für den Lebensunterhalt und die Wasserversorgung der lokalen Bevölkerung. Neben Landwirtschaft bildet Tourismus die Haupteinkommensquelle. 2020/21 traten die Seen nach extremen Regenfällen über die Ufer. Tausende Menschen verloren ihr Zuhause, Geschäfte, Schulen und Hotels wurden beschädigt. Langfristig drohen die Seen durch den Anstieg des Wasserspiegels zusammenzufließen, was fatale Folgen für Mensch und Natur hätte.
„Der Klimawandel ist aber nicht die alleinige Ursache dieser Veränderungen“, betont Pietsch-Cooper. Denn auch ökonomische Aktivitäten tragen zur Zerstörung der Umwelt und Ökosysteme bei. Im Bezirk Narok etwa hat die Abholzung des Mau-Waldes zum Rückgang der Regenfälle geführt, berichtet der Ortsvorsteher von Abossi. „Früher gab es hier einen riesigen Wald, der den Regen anzog. Doch dann sind die Menschen in den Wald eingedrungen und haben alle Bäume gefällt.“
Klima und Konflikte verstehen
„Ziel der Studie war es, ein besseres Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Auswirkungen des Klimawandels und Ressourcenkonflikten in verschiedenen Regionen Kenias zu gewinnen“, sagt Beatrice Odera, Generalsekretärin des CJPD. „Die Ergebnisse werden nun mit den lokalen Partnerinnen und Partnern diskutiert, um die Friedensarbeit gemeinsam weiterzuentwickeln und mit Maßnahmen zu Umweltschutz, Klimaanpassung und Regeneration zu verbinden.“
In Interviews mit Expertinnen und Experten wie auch in Fokusgruppendiskussionen ging es zunächst darum, die spezifischen Anfälligkeiten der lokalen Gemeinschaften sowie deren Wissen, Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit in Bezug auf den Klimawandel zu erfassen. Aber auch um die Frage, wie gut die Akteurinnen und Akteure der Friedensförderung auf die Auswirkungen des Klimawandels auf Konflikte vorbereitet sind.
Parallel dazu hat das Forschungsteam die bestehende nationale Gesetzgebung zu Klimaanpassung und Konfliktbewältigung analysiert. Die Studie kritisiert unter anderem, dass diese die Zusammenhänge zwischen klimabedingten Katastrophen und Konflikten vernachlässigt. „Für die Entwicklung von Managementplänen zur Bewältigung von Ressourcenkonflikten ist es aber wichtig zu verstehen, was die Konflikte auslöst und aufrechterhält“, erläutert Pietsch-Cooper.
Neue Konflikte, neue Wunden
„Die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung haben durchaus das Potenzial, Konflikte zu verstärken“, konstatiert die ZFD-Fachkraft. So berichteten drei Viertel der Befragten von Migration aufgrund klimabedingter Überschwemmungen und Dürren, die häufig zu Konflikten um Ressourcen wie Wasser und Land führe. Wie tief diese gehen, zeigt die Aussage junger Pastoralistinnen und Pastoralisten in Narok: „Neue Wunden sind entstanden, und wir sehen einander mit Feindseligkeit an.“
„Die Ressourcenknappheit ist aber auch mit anderen Ursachen, wie historischer Ungerechtigkeit etwa bei der Frage von Landbesitz sowie politischer, ökonomischer und sozialer Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen in Verbindung zu bringen“, sagt Pietsch-Cooper. „Meist verlaufen die Ressourcenkonflikte entlang ethnischer Linien, die durch politische und historische Narrative und Ungerechtigkeiten verfestigt werden.“ In den Trocken- und Halbtrockengebieten Kenias geht es dabei auch um die Konkurrenz der verschiedenen Lebensweisen: auf der einen Seite nomadisch lebende Bevölkerungsgruppen, die mit ihren Viehherden durchs Land ziehen (sog. Pastoralismus), und auf der anderen Seite sesshafte bäuerliche Gemeinschaften. So kam es etwa in der Region Tana River während der Dürre 2019 zu Spannungen, als Pastoralistinnen und Pastoralisten aus Mandera auf der Suche nach Wasser und Weideland in das Flusstal zogen, in dem Ortsansässige ihre Felder haben.
Ein besseres Verständnis dieser Zusammenhänge biete Ansatzpunkte sowohl für friedensstiftende Initiativen, als auch für Ansätze zur Anpassung an den Klimawandel, ist Pietsch-Cooper überzeugt.
Veränderung als Chance für Frieden
„Grundsätzlich können die Veränderungen auch Friedenschancen mit sich bringen“, so die ZFD-Koordinatorin. Schließlich seien alle Gruppen in den ariden und semiariden Gebieten, Pastoralistinnen und Pastoralisten wie Bäuerinnen und Bauern, für ihren Lebensunterhalt auf Land und Wasser angewiesen. „Somit ist es ein gemeinsames Interesse, diese Ressourcen nachhaltig zu erhalten.“ Umweltschutz und regenerative Praktiken hätten daher ein erhebliches friedensförderndes Potenzial, wenn sie dem Erhalt der Lebensgrundlagen dienen. Sie könnten als „peace connector“ genutzt werden, also als verbindendes Element für eine Friedensarbeit, die im Sinne einer ganzheitlichen Gemeindeentwicklung alle Aspekte des ökologischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Wohls berücksichtigt.
Die Idee dahinter ist, die Zahl der vorteilhaften Verbindungen zwischen Gemeinschaften zu erhöhen, um deren Beziehungen zu verbessern. „Jede Gruppe kann etwas Nützliches beitragen“, erklärt Beatrice Odera. „Zum Beispiel, wenn Viehhalterinnen und Viehhalter Rindermist an Ackerbäuerinnen und -bauern geben, die damit ihre Felder düngen.“ Gemeinsame Baumpflanzaktionen, wie sie CJPD seit 2018 organisiert, wirken ebenfalls positiv. Denn die Aufforstung verbessert das Mikroklima und beugt Bodenerosion vor, wovon alle Beteiligten profitieren. In Teilen von Baringo, Tana River und Transmara wiederum hat der steigende Wasserspiegel dazu geführt, dass mehr Menschen Fischfang betreiben und Boote zum Transport nutzen. Das bietet Chancen, ihren Lebensunterhalt auf mehrere Pfeiler zu stellen und Handel mit Nachbarinnen und Nachbarn zu betreiben. „Damit solche Kommunikations- und Tauschmethoden friedensfördernd wirken, ist es jedoch unerlässlich, dass die beteiligten Gruppen vor Ort ein geteiltes Verständnis über die Konflikte haben und entsprechend gemeinsam Lösungen erarbeiten“, erklärt Pietsch-Cooper.
Frieden und Umwelt zusammendenken
Die Studie empfiehlt, Projekte nach den relativ neuen Ansätzen der ökologischen Friedensförderung zu gestalten und mit Methoden nachhaltiger Land- und Weidewirtschaft zu verbinden, insbesondere der Permakultur und Agrarökologie. Diese zielen darauf ab, das Bewusstsein für die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf das Ökosystem zu schärfen und zugleich die Umwelt zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Außerdem soll die Widerstandskraft der jeweiligen Gemeinschaften und ihre Kooperation untereinander gefördert werden.
„Permakultur ist ein Systemdesign, das dazu genutzt werden kann Gemeinden zu stärken, positive Verbindungen aufzubauen und sich gegenseitig zu unterstützen“, erklärt Pietsch-Cooper. Permakultur versteht sich als Konzept nachhaltiger Lebensweise und Landnutzung. Mit den Prinzipien „Earth Care, People Care, Fair Share“ (Umweltschutz, Gemeinwohl, gerechte Verteilung) trägt der Ansatz dazu bei, dass sich die Natur erholen kann und zugleich die Bedürfnisse der Menschen etwa auf Ernährung, Gesundheit und Beteiligung erfüllt und Ressourcen fair verteilt werden.
Bei der ökologischen Friedensförderung (environmental peacebuilding) werden friedlichere Beziehungen durch gemeinschaftliche Zusammenarbeit im Bereich Umwelt aufgebaut, etwa bei der Nutzung natürlicher Ressourcen, der Anpassung an den Klimawandel und der Reduzierung des Katastrophenrisikos. Wenn über zukunftsfähige Agrar- und Ernährungssysteme nachgedacht wird, gewinnen agrarökologische Ansätze sowie der ökologische Landbau zunehmend an Bedeutung. Für die nachhaltige Sicherung der Lebensgrundlagen ist vor allem der ökologische Landbau wertvoll, wie ihn bereits die Diözesen Nyahururu, Bungoma und Kisumu praktizieren. „Um deren Wissen und Erfahrungen zu teilen, will CJPD ein bis zwei Diözesen zu Modellgebieten ausbauen“, sagt Odera. Zugleich gilt es in der Region die Perspektive der pastoral lebenden Gemeinschaften nicht aus den Augen zu verlieren.
Der ZFD begleitet die Partnerinnen und Partner bei diesen Prozessen. Dabei geht es vor allem darum, deren Kapazitäten in ökologischer Friedensarbeit auszubauen und partizipative Ansätze zu stärken. Denn ein friedliches Zusammenleben in Zeiten des Klimawandels kann nur gelingen, wenn die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund rückt und sich alle für die Gemeinschaft und Umwelt einsetzen.
Weitere Informationen:
Die North Rift Peace Initiative (NRPI) ist eine Initiative des Catholic Justice & Peace Departments (CJPD), mit dem ZFD-Träger AGIAMONDO zusammenarbeitet. Sechs Diözesen in den Trocken- und Halbtrockengebieten der Bezirke Nakuru, Baringo, Uasin Ngishu, Transzoia, Samburu, Laikipia und Turkana beteiligen sich daran. Sie liegen im Nordwesten Kenias und sind allesamt stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.
Seit 2015 unterstützt eine ZFD-Fachkraft die lokalen Partnerinnen und Partner bei ihrer Arbeit zu ressourcenbasierten Konflikten. Die Mitglieder der NRPI tauschen sich regelmäßig über laufende Konflikte sowie die besten Praktiken der Friedensförderung aus, um voneinander zu lernen und gemeinsam Advocacy (Interessenvertretung) zu betreiben.
Der obige Beitrag erschien zuerst in der Contacts 01/2022 (S. 12-14), dem Magazin des ZFD-Trägers AGIAMONDO. Für den ZFD-Klima-Hub wurde er leicht bearbeitet.
Eine zwölfseitige, englischsprachige Zusammenfassung der Studie können Sie sich hier herunterladen:
Text: Beatrice Odera, Silke Pietsch-Cooper, Angelika Söhne
Fotos: Catholic Justice & Peace Department (CJPD), Esther Maina
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