Auf den Klimawandel kannst du nicht schießen
Klima zwischen Sicherheitsproblem, Versicherheitlichung und menschlicher Sicherheit
Gastbeitrag von Dr. Tomas Roithner, Friedensforscher und Politikwissenschaftler an der Universität Wien
Sicherheit – so ein klassischer Zugang – ist der Zustand, sich nicht von Gefahren bedroht zu fühlen und sich in Schutz zu sehen. Was häufig mitschwingt: Abwehr von Bedrohung, Sicherheitsapparate und mehr das Symptom als die Ursache im Blick. Klimawandel durch diese Brille zu betrachten, vermag rasch die Bedrohung zu erkennen, die nach militärischen Antworten ruft. Doch je mehr Militär, desto größer der CO2-Fußabdruck.
Eine neue Brille auf der Nase lässt ein anderes Bild entstehen. Klimawandel als eine politische Herausforderung, als Herausforderung für unser Wirtschaften, unsere Mobilität und für unser globales Miteinander. Was hier mitschwingt: Wir machen uns „nicht Sorgen über Waffen, sondern über das Leben und die Würde des Menschen“, wie die UNO die menschliche Sicherheit im Bericht über die menschliche Entwicklung 1994 skizziert hat. Also auch Sicherheit der Ernährung, Gesundheit, der Gemeinschaft und der Umwelt. Will heißen: kein primärer Auftrag für das Militär.
Was ist und bringt Versicherheitlichung?
Herausforderungen werden mitunter herbeigeredet beziehungsweise als Sicherheitsproblem zu etikettieren versucht. „Versicherheitlichung“ erklärt Probleme zu besonderen Gefährdungen und propagiert Maßnahmen außerhalb des gewohnten Instrumentenkastens. Der damit einhergehende Alarmismus trägt dazu bei, Außerordentliches überzubetonen. Das bedeutet, den Sicherheitsinstrumenten wie Militär, Rüstung und Mauerbau unverhältnismäßig viel Gewicht zu geben. Auch als Antwort auf die Klimakrise ist eine Tendenz zur Versicherheitlichung und damit zur Verstärkung der Sicherheitsapparate zu beobachten.
Denn die Militarisierung von Symptomen legitimiert ein ausgrenzendes Sicherheitsdenken, welches auch in anderen Politikfeldern immer häufiger zu beobachten ist und sinnvollen Lösungen nicht selten im Weg steht. In Folge der Versicherheitlichung verlieren nämlich zivile Ansätze in der Debatte und Umsetzung an Bedeutung. Ob und wie Versicherheitlichungsprozesse greifen, hängt vom gesellschaftlichen Umfeld ab und inwieweit nicht nur Gefährdungen gesehen, sondern auch zivile politische Lösungsansätze geprägt und umgesetzt werden.
Taugt das Militär als Klimakrisenmanager?
Denkfabriken bauen längst an erweiterten Argumentationen, warum es die Armee gegen regionale umweltbedingte Migration braucht, warum Armeen mehr Mittel gegen Wetterextreme bekommen sollen und warum das Management eines künftig durch die Folgen des Klimawandels gesteigerten Konfliktrisikos in militärischen Händen liegen soll.
In einer weiteren Dimension wird seit Jahren auf europäischer Expert*innen-Ebene darüber nachgedacht, welche Rolle der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Durchsetzung umweltpolitischer Maßnahmen zukommt („ecological policing and enforcement“), bis hin zur Frage, wie Szenarien „robuster Machtprojektion“ aussehen könnten (nachzulesen beispielsweise beim EU-Institut für Sicherheitsstudien EUISS). Kern dieses Ansatzes ist weniger der eigene Beitrag zur Klimaerhitzung, sondern vielmehr eine Militarisierung der internationalen Umweltpolitik zur Schaffung einer militärischen Reaktionslogik.
Im kürzlich vereinbarten „Strategischen Kompass“ der EU vom März 2022 werden die Klima- und Umweltdimension in Bezug auf die Streitkräfte sowie die Missionen und Operationen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik ausdrücklich angesprochen. Der Tenor: Der Fußabdruck des Militärs sei zu verringern, „ohne jedoch damit die operative Wirksamkeit zu beeinträchtigen“. Nach aktuell vorherrschenden Zugängen zur EU-Sicherheits-, Militär- und Rüstungspolitik erscheint der so genannte „Verteidigungssektor“ eher als Teil der Lösung, denn als Teil des Problems. Es mangelt zudem an vergleichbaren Zahlen, Transparenz und verbindlichen Regeln, was den Beitrag des Militärs zum EU-Ziel einer Senkung von Treibhausgasen von 55 Prozent bis 2030 angeht.
Über den aktuellen EU-Finanzrahmen und die militärischen Kernprojekte der Europäischen Union (z.B. Euro-Artillerie, Eurodrohne, Kampfhubschrauber) fließen Milliardenbeträge in die Rüstungsindustrie. Unabhängig davon werden die durch den Ukraine-Krieg in Aussicht gestellten Mittel für Waffen und militärische Infrastruktur den ökologischen Fußabdruck der Armee weiter vergrößern.
Ebenfalls jüngeren Datums sind die Anstrengungen der Rüstungsbranche, dass ihr Geschäftszweig durch die EU-Kommission im Rahmen der EU-Sozialtaxonomie als sozial nachhaltig eingestuft werden soll. Ähnlich dem Denkmodell, die Atomkraft unter bestimmten Auflagen als nachhaltig zu klassifizieren. Dazu wird unter anderem das Argument bemüht, dass „ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit“ erreicht werden könne.
Sicherheit des Individuums ins Zentrum rücken
Doch die militärische Antwort ist die falsche Antwort auf die Klimakrise. Zu diesem Schluss kommt beispielsweise auch das Friedensgutachten 2020 der vier renommierten Friedensforschungsinstitute BICC, HSFK, IFSH und INEF: „Traditionelle sicherheitspolitische Instrumente, insbesondere Rüstung und Militär, sind für die Bewältigung der Klimakrise ungeeignet, belasten selbst die Umwelt und stehen einer friedlichen Konfliktlösung im Weg.“
Um auf die Herausforderung Klimawandel angemessen reagieren zu können, müssen wir zum Konzept der menschlichen Sicherheit zurückfinden, also nicht die Sicherheit eines einzelnen Staates, sondern die Sicherheit des Individuums ins Zentrum rücken. Hierfür braucht es eine Stärkung des zivilen und nicht des militärischen Bereichs.
Die Brille, die den Blick auf die menschliche Sicherheit schärft, verengt unsere Handlungsmöglichkeiten nicht auf die Symptome, sondern eröffnet Weitblick. Der Klimawandel führt nicht automatisch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die entscheidende Frage ist, mit welchen Instrumenten auf die Herausforderungen reagiert wird. Es braucht Konfliktlösemechanismen und -institutionen, die auf die aufkommenden Konflikte konstruktiv einwirken.
Das Gelingen dieser Konfliktbearbeitung hängt zudem stark von Fragen der Gerechtigkeit ab. Ohne Klimagerechtigkeit kann keine Bewältigung der Klimakrise gelingen. Doch wer stattdessen dazu beiträgt, dass die Erderwärmung weiter steigt, verschärft auch bestehende Ungerechtigkeiten, wie Sheila Watt-Cloutier, Trägerin des Alternativen Nobelpreises, in ihrem Einsatz für die Inuit in der Arktis eindrucksvoll auf den Punkt gebracht hat: „Wer den Klimawandel weiter anheizt, verletzt unsere Menschenrechte.“
Zum Autor
Priv.-Doz. Mag. Dr. Thomas Roithner, Friedensforscher, Mitarbeiter im Österreichischen Versöhnungsbund, der letztes Jahr die Kampagne „Klimaziel Frieden“ initiiert hat. Roithner ist Co-Kampagnenleiter zur Einführung des Zivilen Friedensdienstes in Österreich und Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien.
In der Online-Diskussion „Klimapolitik und Sicherheitspolitik: Die militärische Antwort ist die falsche Antwort auf die Krisen unserer Zeit“ aus der Reihe „Talk for Future“ hat Thomas Roithner seine Forderung „Kehren wir zu einem Begriff der menschlichen Sicherheit zurück.“ kürzlich am 31.3.2022 bekräftigt und weiter ausgeführt. Die Aufzeichnung der knapp zweistündigen Diskussion, veranstaltet von den Scientists for Future, kann hier abgerufen werden.
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Fotos: Header: Scharfsinn / Alamy Stock Photo; Portrait: privat