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Kamerun
Ganz Afrika in einem Land: So wird das zentralafrikanische Kamerun aufgrund seiner ethnischen und landschaftlichen Vielfalt oft beschrieben. Im Vergleich zu seinen Nachbarländern galt Kamerun lange Zeit als politisch relativ stabil und bis auf den Norden wirtschaftlich prosperierend. Doch diese Zeiten scheinen vorerst vorbei.
Der Norden des Landes wird bereits seit mehreren Jahren von der Miliz Boko Haram heimgesucht. Im Westen hat sich die „anglophone Krise“ so weit zugespitzt, dass das Land vor einem Bürgerkrieg steht. Das Leben in Kamerun ist von Angst und Gewalt geprägt. Hinzu kommen, vor allem unter Jugendlichen, Resignation und Perspektivlosigkeit. Es fehlt an Ausbildung, Arbeit und Mitbestimmung. Die Armut ist groß, die Entwicklung lahmt. Der nachvollziehbare Frust der Jugend ist ein regelrechtes Pulverfass. Vor dem Hintergrund der prekären Lebensbedingungen braucht es nicht viel, damit es explodiert. Aufgrund ihrer Perspektivlosigkeit sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein gefundenes Fressen für radikale Gruppen.
Tag der Einheit = Tag der Spaltung
Der 1. Oktober ist in Kamerun ein Nationalfeiertag. Gedacht wird der Wiedervereinigung von 1961. Damals entstand die „Föderative Republik Kamerun“, nachdem das Land ab 1884 deutsche Kolonie war und mit dem Versailler Vertrag von 1919 zu vier Fünfteln unter französische und einem Fünftel unter britische Kontrolle kam.
Doch seit 2017 gilt der 1. Oktober manchen Menschen als Tag der Unabhängigkeit. Separatistische Kräfte erklärten im Herbst 2017 die Unabhängigkeit der englischsprachigen Gebiete im Westen Kameruns und riefen die „Republik Ambazonien“ aus. Schon früher war es punktuell zu Protesten und Autonomiebestrebungen im anglophonen Teil Kameruns gekommen. Diesmal jedoch hat sich die Lage zugespitzt und könnte in einen Bürgerkrieg münden.
Die „anglophone Krise“
Begonnen hatte die Krise im Oktober 2016 mit Streiks von Lehrern und Anwältinnen in mehreren englischsprachigen Städten. Ihr Protest richtete sich gegen die zunehmende Dominanz des Französischen im Justiz- und Bildungssystem. Den Protesten schloss sich bald die Bevölkerung an – insbesondere die Jugend. Als sich die Proteste zunehmend gewaltsam entluden, reagierte die Regierung unter dem seit 1982 amtierenden Präsidenten Paul Biya mit repressiven Maßnahmen. Die Militärpräsenz in den beiden anglophonen Regionen Nord- und Südwest wurde ausgebaut. Demonstrationen wurden mit Tränengas und Wasserwerfern niedergeschlagen. Es kam zu Massenverhaftungen. Für drei Monate wurde das Internet abgeschaltet.
Nachdem Verhandlungen zwischen Zivilgesellschaft und Regierung Anfang 2017 scheiterten, weiteten sich die Proteste aus. Die große Mehrheit der anglophonen Bevölkerung schloss sich den Protesten an. Einige Gruppen haben sich radikalisiert und zum Teil paramilitärische Einheiten aufgebaut. Die Gewalt ist dadurch weiter eskaliert. Seit der Unabhängigkeitserklärung sollen mehr als 120 Zivilistinnen und Zivilisten sowie über 40 Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben gekommen sein. Mehr als 70 Dörfer wurden attackiert und zum Teil niedergebrannt. Das Schicksal vieler Inhaftierter ist ungeklärt. Über 30.000 Menschen flohen ins Nachbarland Nigeria, schätzungsweise rund 400.000 brachten sich in anderen Regionen Kameruns in Sicherhei
Mehr als ein Sprachenstreit: die Gründe des Unmuts
Der Protest richtet sich nur vordergründig gegen die Benachteiligung der englischen Sprache, Kultur und Gesellschaft durch die frankophon geprägte Zentralregierung. Er ist vielmehr Ausdruck einer tief greifenden Unzufriedenheit mit der Regierung des 85-jährigen Paul Biyas. Die Bilanz seiner 35 Jahre währenden Amtszeit ist für viele ernüchternd. Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Ungerechtigkeit, Landkonflikte und mangelhafte politische Teilhabe bestimmen das Leben der meisten Menschen – nicht nur in den anglophonen Regionen. Frustration und Resignation prägen weite Teile der kamerunischen Gesellschaft. Diejenigen, die sich dagegen öffentlich positionieren, sind massiven Einschüchterungsversuchen seitens des Geheimdienstes ausgesetzt, aber auch der Bedrohung durch die Separatisten in den anglophonen Regionen.
Die Gesellschaft ist außerdem durch eine wachsende Zerklüftung gekennzeichnet. Es wird immer wichtiger, welcher Ethnie oder welcher Religion ein Mensch angehört, aus welcher Region er kommt, welche Sprache sie spricht. Mehr als zuvor werden die Grenzen zwischen politischen Lagern zu Grenzen zwischen ethnischen Gruppen. Politische Konflikte werden zunehmend ethnisiert. Auch der Konflikt zwischen den Generationen verschärft sich: Junge Menschen werden in der traditionell geprägten Gesellschaft kaum gehört. Dabei sind allein 43 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt.
Auch die Instabilität der Nachbarländer und die vielen Geflüchteten stellen Kamerun vor große Herausforderungen. Rund 340.000 Menschen aus Nigeria und der Zentralafrikanischen Republik haben im Land Schutz gesucht. Hinzu kommen etwa 380.000 Binnengeflüchtete, 220.000 aus dem Norden, 160.000 aus dem Westen des Landes. Vor dem Hintergrund der ohnehin angespannten Lage treten vermehrt Verteilungskonflikte zwischen ortsansässiger Bevölkerung und Geflüchteten auf.
Foto: Wikimedia Commons / Felixs.92; Karte: PCC / Alexander Vojvoda