Impuls Philippinen
„Unser bestes Gegenmittel zu Propaganda und Extremismus“
Der ZFD macht sich mit seinen Partnern auf Mindanao dafür stark, dass der Friedensprozess nicht versiegt. ZFD-Fachkraft Daniel Ong beschreibt, wie Dialog und konfliktsensibler Journalismus Frust, Gewalt und Radikalisierung mindern und verhindern können.
Die Situation auf Mindanao ist angespannt. Wegen der Kämpfe um die Stadt Marawi hat die Regierung bis Ende 2017 Kriegsrecht verhängt. Ist in einer solchen Situation Friedensarbeit überhaupt möglich?
Die Belagerung von Marawi am 23. Mai hat dazu geführt, dass schätzungsweise eine halbe Million Zivilistinnen und Zivilisten fliehen mussten. Auch der ZFD hat seine Fachkräfte in der Region in Sicherheit gebracht. Seit fünf Monaten ist es uns nur begrenzt möglich, in Gebiete zu reisen, die von der Gewalt betroffen sind. Aber im Großen und Ganzen kommen wir und das Team von KuMuNet mit der Krisensituation gut zurecht. In unserer Radiosendung, bei unseren Gemeindetreffen und Gesprächsforen sprechen wir mit den Menschen über den Bangsamoro-Friedensprozess, über ihre Sorgen angesichts der Marawi-Krise und über die Auswirkungen des Kriegsrechts auf Mindanao.

Welchen Beitrag leistet die Arbeit des Kutawato Multimedia Network für den Frieden auf Mindanao?
KuMuNet hält die Menschen auf Mindanao über den Friedensprozess auf dem Laufenden. Wir machen ihnen bewusst, dass sie als Zivilgesellschaft selbst einen entscheidenden Beitrag für den Frieden leisten. Wir veranstalten Workshops, Gesprächsforen und Gemeindetreffen, produzieren Kurzfilme und das Friedensradio „Bangsamoro Jetzt: Stimmen für den Frieden“. Immer mehr Hörerinnen und Hörer beteiligen sich an unserem Radioprogramm. Es melden sich auch Verantwortliche aus Politik und Militär, aus den Reihen der Rebellen und aus der Friedensszene. Sogar die Regierung der mehrheitlich von Christen bewohnten Provinz Nord-Cotabato unterstützt inzwischen unsere Gemeindetreffen zum Bangsamoro-Friedensprozess.
Wie ist es gelungen, die Berichterstattung über die Konflikte auf Mindanao zu verändern?
Ich war dabei, als 2009 das erste Training mit Vertreterinnen und Vertretern von Zivilgesellschaft und Medien stattfand. Es wurde von PECOJON organisiert. Die Teilnehmenden lernten, Konflikte neutral zu analysieren. Sie sprachen über ihre Rolle als Konfliktentschärfer oder -verstärker und wurden sich ihrer großen Verantwortung für die öffentliche Meinung bewusst. Seitdem finden immer wieder Workshops in konfliktsensiblem Journalismus statt.
Das Dialogforum von PECOJON 2013 in Cotabato brachte die Medienarbeit auf Mindanao weiter voran. Im Jahr zuvor war das "Framework of Agreement on the Bangsamoro"* unterzeichnet worden. Während des Forums wurde allen klar, dass es nicht nur darum geht, die Öffentlichkeit ausgewogen über die aktuellen Entwicklungen zu informieren, sondern auch darum, den Friedenprozess voranzubringen. Seitdem hat sich die Zusammenarbeit zwischen Medien und Zivilgesellschaft weiter verbessert. Mein Kollege Mohaledin Ross Dimaukom spricht von einem Doppeleffekt: Die Medien berichten mehr über die Beiträge der Zivilgesellschaft zum Friedensprozess. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen verstärken ihre Medienarbeit. Es gilt damals wie heute, Informationslücken zu schließen – indem über die Friedensarbeit an der Basis berichtet wird, und indem wir der negativen Berichterstattung etwas Positives entgegensetzen. In diesem Klima ist auch die Idee zu unserem Friedensradio gereift.
2013 wurde das Friedensradio "Bangsamoro Jetzt" aus der Taufe gehoben. Wie trägt dieses Programm dazu bei Gewalt vorzubeugen?
Ich glaube, der wichtigste Beitrag besteht darin, die Bevölkerung über den Bangsamoro-Friedensprozess auf dem Laufenden zu halten und ihr Raum für ihre Hoffnungen und Sorgen zu geben. Das Programm hilft, Vorurteile zu verringern. Es erzeugt ein Gefühl von Beteiligung und Gemeinsamkeit. KuMuNet erreicht mit dem Radio Menschen in entlegenen Regionen. Sie können sich über unsere Hotline in die Diskussionen einbringen und fühlen sich dadurch stärker berücksichtigt. Das KuMuNet-Team ist in konfliktsensiblem Journalismus ausgebildet. Es wählt Themen und Gesprächspartner umsichtig aus und informiert so über den Konflikt, dass er nicht noch verschärft wird.
Erinnern Sie sich an Situationen, in denen die Sendung spürbar Gewalt vorgebeugt hat?
Ja. In einigen Situationen hat das Radio ganz klar dazu beigetragen, Konflikte zu deeskalieren und weiterer Gewalt vorzubeugen. Zum Beispiel rief einmal der Sprecher der „Bangsamoro Islamic Freedom Fighters“ in der Sendung an, um seine Position zu einem Zusammenstoß mit dem philippinischen Militär zu erklären. Zuvor hatte der Sprecher des Militärs seine Sichtweise erläutert. Anfangs gab es gegenseitige Schuldzuweisungen. Durch den Austausch entstand jedoch langsam eine ausgewogene Sachlage. Schließlich stellte sich heraus, dass der Zwischenfall durch ein Missverständnis provoziert worden war. Das Radio konnte eine Brücke zwischen den Kontrahenten bauen und Sorge dafür tragen, dass sich derartige Vorfällen in Zukunft nicht wiederholen.
Ein weiteres Beispiel: Als der Entwurf des Bangsamoro Basic Law (BBL)** am 16. Kongress scheiterte, waren viele Menschen wütend und frustriert. Die Radiosendung wurde in dieser Situation als Forum und als Ventil für Ärger und Sorgen genutzt. Es äußerten sich Vertreterinnen und Vertreter von MILF*** und Regierung. Auch Bürgerinnen und Bürger meldeten sich zu Wort. Das hat geholfen, die Gemüter abzukühlen und die Leute davon abzuhalten, ihren Frust mit Gewalt zu entladen.
Erst kürzlich hatten wir wieder die Situation, dass die Stimmung hochkochte. Im Juli 2017 wurde Präsident Duterte eine Neufassung des BBL vorgelegt. Mit jedem Tag, der verstrich, ohne dass sich der Präsident den Gesetzentwurf vornahm, wuchs der Ärger der Befürworter. Also interviewten wir im Oktober Ghadzali Jaafar, den Vorsitzenden der Bangsamoro-Übergangskommission, der zugleich Vizepräsident der MILF ist. Er erläuterte die Sachlage und bat um Verständnis und Geduld. Er machte den Menschen Hoffnung und warnte sie zugleich vor extremistischen Gruppen, die aus der fragilen Situation Profit schlagen wollten.

Was könnten Sie mit mehr Mitteln noch erreichen?
Mehr Mittel bedeuten für uns zunächst, dass das Radio und die Weiterbildungen im KuMuNet auf solideren Beinen stehen würden. Mit mehr Geldern könnten KuMuNet und PECOJON auch ihre Arbeit mit Studentinnen und Studenten aus Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit ausbauen. Wir könnten eine neue Generation von konfliktsensiblen Journalistinnen und Journalisten hervorbringen. Unsere Arbeit mit Schülerinnen und Schülern würde sich nicht nur auf einen halbwegs verantwortungsbewussten Umgang mit Social Media beschränken, sondern könnte sie wirkungsvoller gegenüber Falschinformationen und extremistischer Propaganda stärken. Ja, es wäre auch möglich, ein größeres Netzwerk zu bilden und es auf eigenständige Füße zu stellen. Ein internationales Netzwerk aus zivilgesellschaftlichen Organisationen und konfliktsensiblen Journalistinnen und Journalisten wird nicht nur ein informiertes und kritisches Publikum hervorbringen; es wird auch unser bestes Gegenmittel zu Propaganda und gewalttätigem Extremismus sein.
Daniel Ong ist Sozialwissenschaftler und Projektmanager im Büro des forumZFD in Cotabato. Der 55-Jährige stammt aus Mindanao und ist seit 2008 als ZFD-Fachkraft auf der Insel tätig. Das Interview wurde Anfang Oktober 2017 geführt.
* Die Vereinbarung "Framework Agreement on the Bangsamoro" wurde 2012 unterzeichnet und mündete 2014 ins Friedensabkommen "Comprehensive Agreement on Bangsamoro" zwischen MILF und Regierung. Sowohl Vereinbarung als auch Abkommen sehen die Einrichtung einer autonomen Region mit Namen Bangsamoro vor.
** Das "Bangsamoro Basic Law" (BBL) war ein erster Gesetzentwurf zur vereinbarten Einrichtung der Autonomen Region Bangsamoro. Der Entwurf fand jedoch keine Zustimmung im 16. Kongress. Die "Bangsamoro Transition Commission" hat Präsident Duterte im Juli 2017 eine überarbeitete Fassung vorgelegt. Wann über diesen neuen Entwurf abgestimmt wird, ist aufgrund der angespannten Lage derzeit nicht absehbar.
*** Die "Moro Islamic Liberation Front" (MILF, dt.: Islamische Befreiungsfront der Moro), ist die größte Rebellengruppe auf Mindano. Das Friedensabkommen zwischen MILF und Regierung von 2014 machte Hoffnung auf Frieden. Die Umsetzung der Abkommens kommt jedoch nur schleppend voran.