"Multiethnik"
lehren und leben
Um ein Land zu verändern, reicht es nicht aus, wenn sich nur einzelne ändern. Der Wandel in einer Gesellschaft muss auch von ihren Institutionen getragen werden – zum Beispiel von Schulen und Universitäten. Doch in Mazedonien ist es bis heute durchaus üblich, dass Kinder in ethnisch getrennte Klassen oder Schulen gehen. Für die Stabilität des Landes ist das gefährlich.

Damit Kinder und Jugendliche von klein auf lernen, dass eine friedliche Gesellschaft den Zusammenhalt aller braucht, hat die Organisation LOJA innerhalb von zehn Jahren die mazedonische Bildungslandschaft revolutioniert. Dank LOJA gehört multikulturelle Jugendarbeit heute an allen staatlichen Unis zum Lehramtstudium dazu. Lehrkräfte werden damit in ihrer Funktion als Schlüsselpersonen des gesellschaftlichen Wandels gestärkt.
Das Abenteuer multikulturelle Bildung beginnt
Als LOJA die Idee der multiethnischen Jugendarbeit erstmals im Bildungsministerium vorbringt, ist die Skepsis groß. Auch die staatlichen Universitäten reagieren zunächst ablehnend. Die Kluft zwischen den Bevölkerungsgruppen ist so groß, dass es vielen unmöglich erscheint, eine Brücke zu bauen. Nach intensiver Überzeugungsarbeit lässt sich schließlich die private Universität SEEU in Tetovo auf das Abenteuer ein. Überzeugt hatte die Hochschule auch der internationale Rückenwind des Projekts durch den Zivilen Friedensdienst.
Das erste Training findet 2008 statt. Neben der multikulturellen Arbeit (mit Bausteinen zu Identität, Vorurteilen und Diskriminierung) stehen gewaltfreie Konfliktbearbeitung, Friedenspädagogik, Demokratieförderung und soziale Gerechtigkeit auf dem Programm. Das von LOJA durchgeführte Training stößt auf eine enorme Resonanz, auch wenn die Inhalte und Methoden für viele fremd und anfangs sogar befremdlich sind.
„Viele unserer Lehrmethoden waren für die Studentinnen und Studenten geradezu ein Schock. So etwas hatten sie bislang noch nie erlebt – direkt mit der Sichtweise anderer Kulturen konfrontiert zu werden. Das hat sie erst einmal richtig aufgerüttelt“, sagt Blerim Jashari, langjähriger Trainer bei LOJA. „Am Ende wurden die meisten aber immer offener und sogar bereit, die Dinge mit den Augen der anderen ethnischen Gruppe zu sehen.“

Zusammenhalt kann gelernt werden – und wird jetzt gelehrt
2012 kann LOJA die staatliche Universität von Tetovo (SUT) ins Boot holen. Sie führt einen Kurs zu multikultureller Erziehung als Wahlpflichtfach ein. Mit weitreichenden Folgen: „Dieser Kurs hat die Universität verändert“, erinnert sich Kushtrim Ahmetim, Junior-Professor an der SUT. „Wir haben unsere etwas altmodischen Lehrmethoden hinterfragt und interaktive Methoden eingeführt. Das hat unseren gesamten Bildungsansatz verändert.“
Immer mehr Universitäten schließen sich an, bis eine freie und alle staatlichen Universitäten im Boot sind. Überall zeigen die Kurse ähnliche Wirkungen: „Dieses Training war eine großartige Erfahrung“, sagt Dragana Marinkova, Studentin an der Universität von Štip. „Ich habe so viele neue Dinge gelernt: Kommunikation mit anderen ethnischen Gruppen, Team-Arbeit, Rollenspiele, und wie man Konflikte friedlich und konstruktiv bewältigen kann. Das war alles völlig neu für mich. Ich bin wirklich froh, dass ich an diesem Seminar teilnehmen konnte. Es wird mir bei meiner späteren Arbeit als Lehrerin sehr helfen.“
Eine Umfrage an mehreren mazedonischen Universitäten* bestätigt die persönlichen Einschätzungen: Studierende, die an den LOJA-Kursen teilgenommen hatten, sahen die anderen ethnischen Gruppen in einem positiveren Licht als diejenigen, die noch nie an solchen bewusstseinsbildenden Trainings teilgenommen hatten. Es zeigte sich auch die Tendenz, dass die Einstellungen umso positiver wurden, je mehr Kurse besucht worden waren.

Was es noch braucht
LOJA kooperiert weiterhin eng mit Universitäten und ihren Studierenden. Noch braucht es an den Unis die Unterstützung von außen, also durch LOJA und ZFD, um Seminare und Workshops in multiethnischer Arbeit und konstruktiver Konfliktbearbeitung umzusetzen. LOJA arbeitet darauf hin, dass die Curricula für multikulturelle Jugendarbeit landesweit vereinheitlicht und dauerhaft verankert werden. Interethnische Gruppenarbeit soll selbstverständlicher und selbst getragener Bestandteil des Lehramtstudiums an den Universitäten des Landes werden. Neben theoretischer Blöcke muss die Ausbildung – wie von LOJA praktiziert – interaktive Trainings und die praktische Anwendung des Gelernten beinhalten.
* Untersuchung von Aleksandra Sargjoska und Artan Sadiki 2015/16 an vier pädagogischen Fakultäten (Staatliche Universität von Tetovo, Universität Skopje, Bitola und Štip).
Mehr wissen? Wie die ethnische Versöhnung zum Lernziel junger Menschen in Mazedonien wurde, erfahren Sie detailliert in der Publikation „Unterrichten für den Frieden“ der KURVE Wustrow.
Welche Unis machen mit?
Süd-Ost-Europa-Universität (SEEU); Tetovo/Skopje | 2001 gegründet, 10.000 Studierende, 70% Albaner, 30% Mazedonierinnen. 2008 verankert die private Hochschule SEEU den ersten Kurs zur multiethnischen Jugendarbeit im Ausbildungsplan für angehende Lehrerinnen und Lehrer. Heute werden an der SEEU multikulturelle Studien – unabhängig von den LOJA-Trainings – als Wahlpflichtfach an mehreren Fakultäten angeboten. |
Staatliche Universität von Tetovo (SUT); Tetovo | 1994 gegründet, 15.000 Studierende, 90% Albanerinnen und Albaner, 5% Türkinnen und Türken. Die SUT wurde erst 2004, zehn Jahre nach ihrer Gründung, von den mazedonischen Behörden als Universität anerkannt. 2012 wurde der erste Kurs zu multikultureller Erziehung als Wahlpflichtfach eingeführt. Heute ist er Pflichtfach für alle Pädagogik-Studierenden und Wahlfach in vielen anderen geisteswissenschaftlichen Fächern. |
St. Kyrill und Method Universität (UKIM); Skopje | 1949 gegründet, 60.000 Studierende, 95% Mazedonierinnen und Mazedonier, ca. 5% bosniakische Minderheit. Älteste und renommierteste Universität in Mazedonien. Die UKIM führte den Kurs zur interethnischen Jugendarbeit 2012 in Erziehungswissenschaften ein. Heute ist er Wahlfach des pädagogischen Instituts. |
St. Kyrill und Method Universität (UKIM); Skopje | Seit Herbst 2017 ist auch die pädagogische Fakultät der UKIM (mit Namen St. Kliment von Ohrid) Partner von LOJA. Hier gibt es ca. 70% albanische und 30% mazedonische Studierende, die auf beiden Sprachen studieren können. Das Curriculum ist Wahlfach für beide Gruppen. |
Universität Goce Delcev (UGD); Stip | 2007 gegründet, 16.000 Studierende, über 95% Mazedonierinnen und Mazedonier. Der Kurs zu interethnischen Jugendarbeit wurde 2014 als Wahlfach für Studierende der Erziehungswissenschaften eingeführt. |
Universität St. Kliment von Ohrid (UKLO); Bitola | 1979 gegründet, 10.000 Studierende, die Mehrheit Mazedonierinnen und Mazedonier, ca. 7% Albanisch. Die UKLO etablierte den Kurs zu multi-kultureller Erziehung 2014 als Pilotprojekt auf freiwilliger Basis. Seit Winter 2015 ist er Wahlfach für Pädagogik- und Linguistik-Studierende. |