Libanon als Impuls
"Es braucht eine starke und vernetzte Zivilgesellschaft, die politische Spielräume für sich nutzen kann."
Vor allem junge Menschen treiben die Idee gewaltfreien Handels in der Gesellschaft voran. Urte Luetzen, Koordinatorin des ZFD in Beirut, erläutert die Potenziale ziviler Friedensarbeit im Libanon.

Netzwerken gegen die Ohnmacht
Das Projekt Hayda Lubnan gibt jungen Menschen die Hoffnung und das Handwerkszeug für den Weg in einen friedlichen und stabilen Libanon. Aber es könnte noch viel mehr getan werden, um den gesellschaftlichen Wandel im Land voranzubringen. Urte Luetzen erläutert im Gespräch, was noch alles erreicht werden könnte, wenn ein Projekt wie Hayda Lubnan ausgebaut würde.
Der Libanon ist gekennzeichnet durch eine lange Bürgerkriegsgeschichte, feste Machtstrukturen und eine in viele Gruppen zersplitterte Gesellschaft mit hohem Gewaltpotenzial. Welche Chancen haben Methoden der Gewaltfreiheit?
Urte Luetzen: Hinter allen Projekten, die sich mit Dialog, Gewaltprävention und Friedensförderung beschäftigen, steht die Frage, wie wir miteinander leben wollen. Die meisten Leute im Libanon wünschen sich Frieden, Stabilität und Gerechtigkeit. Sie wollen am politischen und gesellschaftlichen Leben mitwirken. Daher gibt es große Chancen für gewaltfreie Methoden. Gerade in Zeiten des Umbruchs ist es wichtig, sich mit politischen und gesellschaftlichen Fragen kritisch auseinanderzusetzen, autoritäre Machtverhältnisse in Frage zu stellen und gewaltfreie Alternativen kennenzulernen. In unseren Projekten lernen junge Erwachsene unterschiedlicher Herkunft gewaltfreie Konfliktbearbeitung kennen. In Workshops beschäftigen sich mit Vorurteilen, Konflikten und Gewalt. Die jungen Leute erleben erste Erfolge, nutzen die Methoden auch außerhalb der Projekte und tragen die Idee der Gewaltfreiheit so immer weiter.
Dieses Potenzial gilt es zu nutzen. Für die Gewaltprävention sind Menschen wichtig, die daran glauben, dass Ziele erreicht werden können, indem man Interessen aushandelt statt sie mit Gewalt durchzusetzen.
Wenn es mehr Mittel für die zivile Friedensarbeit im Libanon gäbe, was könnte aus Hayda Lubnan werden?
Urte Luetzen: Momentan arbeiten wir in einzelnen Regionen an der gesellschaftlichen Basis. Wir ermutigen die Leute, sich mit anderen zusammenzuschließen, um den gesellschaftlichen Wandel voran zu treiben. Mit mehr Ressourcen könnten wir die regional Aktiven miteinander in Kontakt bringen und mehr Menschen aus ländlichen Gebieten einbeziehen. Überhaupt könnten wir mehr Akteure in die Lage versetzen, sich am gesellschaftlichen Dialog zu beteiligen. Es ist aktuell kaum möglich, die Anliegen aus einzelnen Regionen zusammenzubringen. So etwas erfordert viel Koordination.
Mehr ZFD-Fachkräfte und mehr libanesische Fachkräfte könnten die Fäden zusammenführen. Wir brauchen landesweite Netzwerke und Formate, die es den Menschen ermöglichen, sich am Aufbau einer vereinten Gesellschaft zu beteiligen. Wenn diese Strukturen da sind, wird auch Gewalt nicht mehr das erste Mittel der Wahl sein, um Interessen durchzusetzen. Das geht nicht von heute auf morgen, und das kann der ZFD auch nicht alleine. Es braucht eine starke und vernetzte Zivilgesellschaft, die politische Spielräume für sich erkennen und nutzen kann. Diesen langen Wachstumsprozess können wir mit Erfahrungen und Fachwissen unterstützen.
Wenn Sie sich vorstellen, Hayda Lubnan wäre ein Testballon, der nach erfolgreicher Pilotphase flächendeckend eingesetzt werden soll. Was wäre dann möglich?
Urte Luetzen: Mit einem flächendeckenden Projekt könnten wir zum Beispiel regionale oder nationale Zukunftsdialoge realisieren, an denen lokale Führungspersönlichkeiten teilnehmen. Wenn es uns gelingt, die einflussreichen Vertreterinnen und Vertreter möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen für die Zukunftsgestaltung zu begeistern, wäre ein großer Schritt getan.
Mit einem flächendeckenden Ansatz wäre es auch möglich, die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen im Land besser miteinander zu vernetzen. Kräfte könnten gebündelt werden. Die Zersplitterung der Gesellschaft, die sich auch in der Zivilgesellschaft widerspiegelt, könnte dadurch ein Stück weit überwunden werden. Ein nationales Netzwerk der Zivilgesellschaft hätte außerdem mehr Gewicht, um die Anliegen der Bevölkerung – unabhängig von konfessionellen, regionalen oder lokalen Färbungen – an die Regierung heranzutragen.
Projekte wie Hayda Lubnan sind sicher auch in anderen Ländern durchführbar, wenn sie dort an die spezifischen Kontexte angepasst würden. Unsere Erfahrungen könnten wir anderen zur Verfügung stellen, die ebenfalls in zersplitterten Gesellschaften daran arbeiten, Dialog zu fördern und Gewalt zu verhindern.
Fotos: ZFD/GIZ