Radikalisierung stoppen:
„Impacting your generation“
Was treibt junge Menschen in die Hände radikaler Gruppen? Wie können wir sie schützen? Auch in Kamerun ist dies von brisanter Relevanz: Im Westen versuchen separatistische, im Norden islamistische Gruppen Nachwuchs zu gewinnen. Je mehr Mitglieder sie rekrutieren, desto größer wird ihr Einfluss.
Wenn Armut und Perspektivlosigkeit das Leben bestimmen, neigen besonders junge Menschen dazu, sich radikalen Gruppen anzuschließen. Dabei geht es ihnen nicht etwa um Ideologien oder Religion: Es sind die Aussichten auf Geld und Zugehörigkeit, die sie in die Arme der Radikalen treiben. Das hat eine Studie ergeben, die der ZFD-Partner Dynamique Mondiale des Jeunes (DMJ) durchgeführt hat (die Studie finden Sie unten).
Kameruns Jugend ist demnach gefährdet. Sie ist unzufrieden mit ihrer Situation, mit der Politik, mit ihren Zukunftsaussichten. In der kamerunischen Gesellschaft hat die Jugend traditionell wenig zu sagen. Sie ist von Entscheidungen, Mitsprache und Einfluss in Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeschlossen. Frust ist da programmiert. Manche reagieren mit Resignation, manche mit Aggression. Für radikale Gruppen ist eine enttäuschte Jugend ein gefundenes Fressen.
Wie kann präventive Jugendarbeit junge Menschen vor Radikalisierung und Gewalt schützen? Wir haben mit Dupleix Kuenzob von DMJ gesprochen.
Was macht Jugendliche in Kamerun anfällig für die Rekrutierung durch radikale Gruppen?
Wir haben im Norden Kameruns die Anziehungskraft bewaffneter Gruppen auf Jugendliche erforscht. Wir fanden heraus, dass ihnen finanzielle Anreize und das Zugehörigkeitsgefühl wesentlich wichtiger sind als ideologische und religiöse Faktoren, die sehr viel später ins Spiel kommen. Mit Hilfe dieser Erkenntnisse können wir Jugendliche, ihre Eltern und Lehrkräfte nun besser aufklären und wappnen. Wir entkräften damit auch Gerüchte und fälschliche Annahmen. Mehrere nationale und internationale Organisationen haben nach unserer Studie ihre Jugendprogramme angepasst.
Was kann die Zivilgesellschaft in Kamerun tun, um der Radikalisierung entgegen zu wirken?
Sie kann Bewusstsein schaffen, erziehen und bilden, damit die Menschen in der Lage sind, Situationen friedlich zu meistern, die in Gewalt abgleiten könnten. Sie kann Anzeichen für potentielle Gewalt erkennen, benennen und entschärfen. Sie kann zwischen sozialen Gruppen vermitteln und die Bevölkerung stärken, sodass sie den Dialog aufnimmt. Und zu guter Letzt kann sie Einfluss auf Entscheidungsträgerinnen und -träger nehmen.

Was macht DMJ, um Jugendliche zu schützen?
Wir initiieren Debatten darüber, wie man Propaganda und Gewalt entgegentreten kann. Wir wirken auch an Rundfunk- und Fernsehprogrammen mit und sind im Internet aktiv. Momentan erarbeiten wir mit dem Rundfunk des Rats Protestantischer Kirchen in Kamerun (CEPCA) ein Programm namens „Impacting your generation“, das von Jugendlichen für Jugendliche gemacht wird. Wir kooperieren außerdem mit der protestantischen Universität UPAC. Es geht um Grundlagen für einen gerechten Frieden, die den Gewalt- und Hasstiraden entgegengesetzt werden können. In den Gemeinden arbeiten wir daran, dass Jugendliche stärker gehört werden und sich besser Gehör verschaffen können, wenn es um politische Entscheidungen geht. Die an den Rand gedrängten Jugendlichen fühlen sich dadurch stärker in die Gesellschaft eingebunden und können etwas bewirken.
Wir haben beispielsweise Jugendliche aus den drei Gemeinden Ngoumou, Ngaoundéré 2 und Tibati darin geschult, öffentliche Investitionen unter die Lupe zu nehmen. Heute beteiligen sie sich an der Evaluierung der öffentlichen Dienstleistungen. In Meiganga sitzen sie mit in den Gemeinderatssitzungen. Ein wesentlicher Pfeiler unserer Arbeit ist die gewaltfreie Kommunikation. Eine gewaltfreie, auf Fakten basierende Kommunikation ermöglicht Dialog und Respekt vor anderen Meinungen. Wir achten darauf, dass die Betroffenen ihre Situation analysieren, Probleme erkennen und selber gewaltfreie Lösungen entwickeln. Wir bestärken sie darin, Vorbilder für gewaltfreie Konfliktbearbeitung zu werden.
Es besteht nicht nur die Gefahr der Radikalisierung, sondern auch die der Eskalation. Wie wirken Sie auf Konflikte ein, bevor es zu Gewalt kommt?
Wir bringen alle Beteiligten an einen Tisch, alle politischen Parteien, kommunale und traditionelle Entscheidungsträger und die Jugendlichen. Dabei legen wir Wert auf gewaltfreie Kommunikation und partizipative Diskussion. So konnten wir beispielsweise einen schwelenden Konflikt in Belabo, im Osten Kameruns, entschärfen. Dort standen sich Jugendliche und Angehörige der traditionellen sozialen Oberschicht feindlich gegenüber. Wir haben den Dialog in Gang gebracht. Es ging um die wirtschaftliche Entwicklung des Distrikts, an der die Jugendlichen teilhaben wollten. Sie haben verstanden, dass sie ihre Interessen besser vertreten, wenn sie sich zusammenschließen. Nach den Gesprächen sahen sich die Kontrahenten in einem besseren Licht. Alle leben friedlicher zusammen.
Die meisten Konflikte auf lokaler Ebene entstehen, weil die Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft fehlt. Die von uns geschulten Jugendlichen versuchen diese Verbindung herzustellen. Wir zeigen ihnen, wie sie sich an öffentlichen Debatten beteiligen und auf Entscheidungen Einfluss nehmen können. So kommt es zur Annäherung zwischen den Jugendlichen und den Behörden – bestenfalls zur produktiven Zusammenarbeit. In Meiganga haben junge Kaufleute beispielsweise durch ihre Überzeugungsarbeit niedrigere Mietpreise für ihre Marktstände durchgesetzt. Andernorts haben Jugendliche die Elektrifizierung ihres Dorfes erreicht.

Der DMJ-Dokumentarfilm „Die Situation der Jugend“ (2016) bringt sehr anschaulich zum Ausdruck, wie es um die Jugend in Kamerun bestellt ist. Hier kommen junge Menschen selbst zu Wort, reden über ihren Frust und ihre Träume.
Fotos (v.o.): Christof Krackhardt / Brot für die Welt; Christoph Püschner / Brot für die Welt; Screenshot aus dem DMJ-Film „Die Situation der Jugend“