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Südsudan: Psychosoziale Beratung in der Friedensarbeit

Wenn sie sagt, dass sie psychosoziale Beratung anbietet, hört Eva Kästle oft: „Das ist genau, was wir hier brauchen.“ Seit 2021 arbeitet sie als ZFD-Fachkraft an der Catholic University of South Sudan. Rund 1.400 Frauen und Männer studieren derzeit am Campus in Juba. Kästle trifft hier auf viel Offenheit für psychosoziale Themen. „Die Studierenden, aber auch Lehrkräfte und Angestellte, reden sehr offen über ihre Belastungen und Traumata und sind interessiert an Beratung“, berichtet sie.

Die psychosozialen Angebote sind Teil des Programms, mit dem der ZFD-Träger AGIAMONDO Menschen im Südsudan beim Umgang mit der gewaltbelasteten Vergangenheit unterstützt. „Eines der Ziele von Traumaarbeit ist, den inneren Frieden wiederherzustellen“, erklärt die Fachkraft. „Der innere Frieden ist notwendig, um den Frieden nach außen zu tragen und Dialoge zwischen Konfliktparteien zu suchen.“

Friedensarbeit im Studium

An der Uni ist Eva Kästle in einer Doppelrolle unterwegs. Zum einen schafft sie psychosoziale Angebote für Studierende und Mitarbeitende. Zum anderen lehrt sie am Institute for Justice and Peace Studies. Das 2017 gegründete Institut bietet als einzige universitäre Einrichtung im Südsudan einen Bachelor in Friedensforschung an, der auf die Friedensarbeit etwa bei NGO, in Regierungsinstitutionen oder lokalen und internationalen Organisationen vorbereitet.

Die Studierenden erlebt Kästle als aktive und friedensbewegte junge Menschen, die sich stark mit ihrer künftigen Rolle als Friedenskräfte identifizieren. „Sie haben sich ganz bewusst für diesen Studiengang entschieden, weil sie zu positiver Veränderung in ihrem Land beitragen wollen“, sagt sie. Viele engagieren sich in sogenannten Graswurzel-Bewegungen.

„Unsere Ausbildung ist darauf ausgerichtet, mit den verschiedenen Gruppen der Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zu arbeiten“, erläutert sie. Damit die Fachkräfte mit einem ganzheitlichen Ansatz in die Versöhnungsarbeit gehen können, so Kästle, ist es notwendig zu verstehen, wie sich Gewaltkonflikte auf das individuelle und kollektive Wohlbefinden auswirken, und wie die Belastungen der Vergangenheit das gegenwärtige Leben beeinflussen. Um die Studierenden auf die Arbeit mit gewaltbelasteten Menschen vorzubereiten, vermittelt sie zudem Beratungstechniken wie aktives Zuhören oder Rückspiegelung.

Aktueller Stress trifft alte Traumata

In der Beratung nennen die Studierenden häufig ihre angespannte Finanzlage als größte Belastung, so Kästle. Viele müssen nebenher arbeiten, um die Studiengebühren und Miete zu bestreiten oder ihre Familie zu versorgen. Oft wissen sie nicht, ob sie sich das nächste Semester noch leisten können. Das verursacht häufig so viel Druck und Fokus auf die Gegenwart, dass kaum Raum ist, auf die Vergangenheit zu schauen und Traumata aufzuarbeiten. Zugleich ist das Leben im Südsudan nach wie vor von Unsicherheit geprägt, was neue Belastungen mit sich bringt. „Viele der Studierenden stammen aus ländlichen Gebieten, in denen es immer wieder Gewaltkonflikte gibt“, berichtet Kästle. „Sie sorgen sich um ihre Familien dort.“

Bei ihrer Traumaarbeit steht die Stabilisierung im Vordergrund. Entsprechend zielt die psychosoziale Beratung darauf ab, Traumasymptome verstehen und reduzieren zu lernen. „Traumafolgen bedeuten vor allem, dass es eine Störung in der Raum-Zeit-Wahrnehmung gibt“, erklärt die Beraterin. „Den Betroffenen scheint es, als würde das traumatische Erlebnis jetzt passieren und andauern, weil das Gehirn noch nicht gelernt hat, dass das traumatische Geschehen in der Vergangenheit liegt.“ Atem- und Körperbewusstseinsübungen können den Betroffenen helfen, sich im Hier und Jetzt zu verorten, so Kästle.

Langfristig sollen eigene Beratungskapazitäten an der Uni entstehen. Kästle kann sich etwa eine Weiterbildung für Absolventinnen und Absolventen vorstellen, die bereits Grundkenntnisse in Beratung haben. „So dass ich irgendwann nicht mehr gebraucht werde, weil es genug qualifizierte Beratungskräfte gibt“, sagt sie.


Text: Eva Kästle, Angelika Söhne

Das Bild zeigt ZFD-Fachkraft Eva Kästle (r.) im Beratungsgespräch. Sie nimmt sich Zeit und hat ein offenes Ohr für die Anliegen der Studierenden und Mitarbeitenden. Foto: CPS Südsudan

Diesen Text lesen sie in voller Länge im Magazin contacts 2/2022 des ZFD-Trägers AGIAMONDO. Für unsere Webseite wurde er leicht überarbeitet.

Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auch in unserer Projektdatenbank.