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Kosovo: 20 Jahre und kein Ende
11.06.2019Diese Woche jährt sich zum 20. Mal das Ende des Kosovokrieges. Ein zwiespältiger Gedenktag. Der Kampfeinsatz der NATO, der den Krieg beendete, erfolgte ohne UN-Mandat. Bis heute ist umstritten, ob er rechtmäßig und ob er erforderlich war. Die Lage im Kosovo und in der Region ist auch anno 2019 angespannt. Die Gefahr einer Eskalation ist nicht gebannt.
Die Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien haben einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht. Die ZFD-Partner in der Region haben jedoch eine konkrete Vorstellung davon, wie ein gemeinsamer Frieden erreicht werden kann.
Overcoming official borders, but even more so, those that exist in people’s heads
is the biggest challenge when it comes to peacebuilding in the region.
Die offiziellen Grenzen zu überwinden, vor allem aber jene, die in den Köpfen der Menschen bestehen,
ist die größte Herausforderung bei der Friedenskonsolidierung in der Region.
Die drei ZFD-Partner Centre for Nonviolent Action (CNA), Action for Nonviolence and Peacebuilding (ANP) und Peace Action (PA) geben mit ihrer Trainingsreihe „Mir-Paqe-Мир – Introduction to Peacebuilding” eine Blaupause dafür, wie Friedensarbeit in der Region vorangebracht werden kann. So wie die Partnerorganisationen selbst kommen auch die Teilnehmenden aus Serbien, Nordmazedonien und Kosovo. Die Gruppen werden ganz bewusst sehr bunt gemischt. Für jedes Training werden Mitglieder unterschiedlicher ethnischer und geografischer Herkunft ausgewählt. Mit anderen Worten: Menschen, die sich sonst so nie begegnen würden; mitunter weil sie sich spinnefeind sind. So können die in der Region bestehenden sozialen Konflikte aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet und Ideen dafür entwickelt werden, wie sie am besten angegangen werden können.
Was leicht klingt, erweist sich in der Praxis jedesmal aufs Neue als Herausforderung. Es erfordert Mut, sich den eigenen Vorurteilen zu stellen und die eigene Sichtweise zu hinterfragen. Anfangs muss viel Zeit darauf verwendet werden, eine Atmosphäre des Vertrauens und des gegenseitigen Respekts zu schaffen. Ein wichtiger Schritt hierbei ist, die Rolle der Repräsentantin beziehungsweise des Repäsentanten der jeweiligen Gemeinschaft aufzugeben und im eigenen Namen zu sprechen. Doch das ist die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Friedensarbeit: Zunächst müssen die Grenzen im eigenen Kopf überwunden werden.
Im Mai 2019 fand das 5. Training der Reihe statt. Neun Tage intensives Training haben den 18 Teilnehmenden wie immer einiges abverlangt. Ein „Mir-Paqe-Мир-Training” ist kein „Ringelpiez mit Anfassen”, hier geht es ans Eingemachte. Hier kommen komplexe, schwierige, schmerzhafte Themen auf den Tisch – darunter auch Aspekte, die sich nicht so leicht greifen und offenbaren lassen, Ängste und Vorwürfe zum Beispiel. So kochen regelmäßig Konflikte hoch, die aber nicht übergangen, sondern aufgegriffen und bearbeitet werden. Das gelingt nicht auf Anhieb und nicht in allen Fällen.
Was den Teilnehmenden aber gelingt, ist, die Überzeugung zu erlangen, mit Konflikten konstruktiv umgehen zu können – weil sie die Fähigkeit dazu trainieren können, weil sie die Kraft haben, sich zu verändern, und von diesem persönlichen Wandel aus einen sozialen Wandel anstoßen können. Im Training selbst werden die Themen Gewalt und Diskriminierung, Geschlechterrollen und Identität, Bewältigung der Vergangenheit, Konfliktbearbeitung und Peacebuilding vertieft. Die wichtigste Erkenntnis, die sich im Laufe des Trainings einstellt, ist zugleich der wichtigste Schritt zur erfolgreichen Konfliktbearbeitung: Wir können uns gegenseitig beistehen, unterstützen und helfen, weil wir durch viel tiefere Bindungen miteinander verbunden sind, als es von unserer „gegnerischen Position” aus den Anschein hat.
Mehr über die Arbeit von CNA finden Sie in unserem Beitrag vom 25.04.2019. In unserer Publikationsdatenbank können Sie sich außerdem das Peacebuilding-Handbuch „Nonviolence!“ herunterladen. Ivana Franović und Nenad Vukosavljević, beide beim CNA aktiv, teilen anwendungsbezogen ihre Erfahrungen aus 20 Jahren Trainingsarbeit.
ZUM HINTERGRUND:
Kosovo und die NATO:
Die militärische Intervention der NATO begann am 24. März 1999 – ohne entsprechendes Mandat vom UN-Sicherheitsrat. Kampfflugzeuge aus fünf Nato-Staaten (Deutschland, Großbritannien, Italien, Niederlande und USA) konnten nahezu ungehindert strategische Bodenziele angreifen: Neben Einrichtungen der serbischen Armee auch das Hauptgebäude des serbischen Rundfunks und zahlreiche Brücken. Der Kampfeinsatz endete nach 78 Tagen am 10. Juni 1999. Die NATO-geführte Kosovo Force (KFOR) wurde im Anschluss an den Kampfeinsatz auf Basis der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates installiert. Die Bundeswehr hat sich von Beginn an am KFOR-Einsatz beteiligt. Zeitweilig stellte sie mit 12.000 Soldatinnen und Soldaten die meisten Truppen der multinationalen Formation. Seit 1999 waren insgesamt 130.000 deutsche Militärs im Kosovo. Es ist der längste Auslandseinsatz der Bundeswehr. Nach dem Willen der Bundesregierung soll der Einsatz um ein weiteres Jahr bis 2020 verlängert werden, allerdings soll die Obergrenze von 800 auf 400 Soldatinnen und Soldaten gesenkt werden. Eine Zustimmung des Parlaments steht noch aus.
Kosovo und Serbien:
Der Kosovo erklärte am 17. Februar 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien. Die Republik Kosovo wurde bislang von 114 der 193 UN-Mitgliedstaaten anerkannt. Deutschland gehörte zu den ersten Ländern, die die Republik Kosovo völkerrechtlich anerkannt und diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Serbien hingegen betrachtet Kosovo weiterhin als eigenes Staatsgebiet und erhebt Anspruch auf die ehemalige Provinz. Die serbische Außenpolitik versucht, der Anerkennung des Kosovo entgegenzuwirken. Dennoch stehen beide Länder in einem Dialog, der auf die Normalisierung der bilateralen Beziehungen abzielt. In jüngster Zeit war dieser Dialog jedoch wieder zunehmend von Misstönen bestimmt. Bei der informellen Balkankonferenz in Berlin Ende April 2019 hatten beide Länder zwar Gesprächen zur Beilegung ihrer Gebietsstreitigkeiten zugestimmt. Erst vor wenigen Tagen jedoch hat sich die Lage wieder zugespitzt, ausgelöst unter anderem durch eine Razzia der kosovarischen Polizei im überwiegend von Serbinnen und Serben besiedelten Norden und der verbalen Entgleisung von Serbiens Regierungschefin (in ihrer Reaktion auf die Polizeiaktion bezeichnete sie die Menschen im Kosovo als „Hinterwäldler”). Mehr über die Hintergründe der aktuellen Zuspitzung finden Sie etwa in einem Artikel der Neuen Zürcher Zeitung vom 30.5.2019.
Kosovo und Deutschland:
Der Kosovokrieg hat die deutsche Außenpolitik entscheidend geprägt. In zweierlei Hinsicht: Es war das erste Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs, dass deutsche Soldaten an einem militärischen Angriff beteiligt waren. Diese Entscheidung polarisiert Politik und Gesellschaft bis heute. Zum zweiten hängt auch die Gründung des Zivilen Friedensdienstes eng mit den Ereignissen von damals zusammen, wie Sozialwissenschaftler und ZFD-Urgestein Tilman Evers erläutert:
„Als in den neunziger Jahren die Kriege im zerfallenden Jugoslawien Europa erschütterten, entstand in Deutschland, zunächst in kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Kreisen, die Idee für einen Zivilen Friedensdienst. Ein Diskussionsforum „Ziviler Friedensdienst“ von interessierten Personen und Gruppen erarbeitete ab 1993 das Konzept einer professionellen Friedensarbeit, ähnlich den Entwicklungsdiensten, und begann 1995 mit der politischen Werbung dafür. Im Jahr 1997 unterzeichneten zahlreiche Persönlichkeiten aus Politik und Kultur eine „Berliner Erklärung für einen Zivilen Friedensdienst in Deutschland“. Ab 1996 konnten regelmäßige Qualifizierungskurse für berufs- und lebenserfahrene Frauen und Männer angeboten werden, an denen bis heute hunderte Fachkräfte teilnahmen. Unter dem Namen „Konsortium Ziviler Friedensdienst“ begann im selben Jahr auch der beständige Erfahrungs- und Ideenaustausch zwischen den beteiligten Friedensgruppen und den anerkannten Entwicklungsdiensten. Nach dem Regierungswechsel 1998 konnte die Umsetzung beginnen: Was bis dahin eine bloße Idee war, nahm nun die reale Gestalt eines Gemeinschaftswerks von deutschen Friedens- und Entwicklungsorganisationen und dem Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) an.”
ZFD-Konsortiumsmitglied AGDF hat eine Stellungnahme zum militärischen Eingreifen der NATO im Kosovo vor 20 Jahren veröffentlicht. Darin kritisiert AGDF-Geschäftsführer Jan Gildemeister, dass eine zivile Option der Konflikttransformation im Konflikt um den Kosovo damals keine Rolle gespielt habe. „Eine klare Konsequenz aus diesem ersten militärischen Eingreifen auf dem Balkan müsse jedenfalls sein, die zivilen und gewaltfreien Konfliktlösungsstrategien als Alternativen zum Militär zu stärken und auszubauen. Prävention müsse eine zentrale Rolle spielen, wenn sich Krisen abzeichnen würden“, lautet sein Resümee.
Foto und Quelle der Trainingsbeschreibung: CNA (Das Foto entstand während des letzten „Mir-Paqe-Мир”-Trainings im Mai 2019 in Kruševo, Nordmazedonien.)