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Corona-Pandemie: Radio eröffnet Perspektiven

Die Journalistin Anne Fleischmann arbeitet seit Januar 2020 als ZFD-Fachkraft für konfliktsensible Berichterstattung beim katholischen Sender „Radio Waumini“ in Kenias Hauptstadt Nairobi. Ihre kenianischen Kolleginnen und Kollegen unterstützt sie unter anderem bei der Produktion und Gestaltung zielgruppengerechter Programme.

Wenige Wochen, nachdem sie ihre Stelle angetreten hatte, erreichte die Corona-Pandemie auch Kenia. Am 13. März 2020 wurde der erste COVID-19-Fall im Land bestätigt. Im Folgenden berichtet Anne Fleischmann, wie das Team von „Radio Waumini“ auf diese Herausforderung reagiert hat, und wie wichtig konfliktsensibler Journalismus, aber auch die Unterstützung durch den ZFD ist  nicht nur in Zeiten von Corona.


„Radio zählt nach wie vor zu den wichtigsten Medien in Kenia. Als ZFD-Fachkraft bei Radio Waumini in Nairobi arbeite ich mit Journalist*innen des Senders zu Konfliktthemen in Kenia. Dafür organisiere ich Trainings in enger Absprache mit dem Team des Senders, um dessen Fähigkeiten in konfliktsensiblem Journalismus zu schulen. Die Zielgruppe des Radios ist jung. Das Alter der durchschnittlichen Hörer*innen liegt bei Ende 20, Anfang 30. Gesendet wird in Swahili und Englisch – das bedeutet, alle Features sind zweisprachig, um möglichst viele Hörer*innen zu erreichen.

Mit den Journalist*innen bespreche ich regelmäßig zu welchen Themen sie sich weiterbilden wollen. Daraus entstand zu Beginn der Pandemie ein Webinar zu Gesundheitsjournalismus mit dem Thema ,Wie über COVID-19 informieren ohne Panik zu schüren?‘.“


„Die Menschen brauchen viele und richtige Informationen. Es gibt so viele Falschinformationen, die zirkulieren. Dem müssen wir etwas entgegensetzen.“ – Sister Adelaide Ndilu, Interims-Direktorin Radio Waumini


„Dieses Training unterstützte die Teilnehmer*innen, da sie als Journalist*innen selbst unter großem Druck standen. Es ist ihr Job über Corona zu berichten, als Privatpersonen jedoch hatten auch sie Angst um ihre Gesundheit und die ihrer Familien. Irene Wambui, die Programm-Managerin von Radio Waumini betonte in diesem Zusammenhang, wie hilfreich meditative Elemente seien, zum Beispiel gemeinsames Beten oder Musik, die in die Sendungen integriert werden. Erschwerend kam für viele Teilnehmer*innen wachsender Arbeitsdruck hinzu, gefühlt nahm Corona das ganze Leben ein – beruflich wie privat. Das Training erweiterte zu der Zeit also nicht nur die journalistischen Fähigkeiten, sondern war auch ein sicherer Raum, um über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen.“


„Ich empfand das Training als sehr positiv. Es gab Raum, um sich zu öffnen und Sorgen zu teilen.“ – Violet Nyabonyi, Journalistin von Radio Waumini zum Abschluss des Webinars


„Neben den Seminaren zu COVID-19 organisierte ich auch Kurseinheiten zu Social Media, Faktenchecks und zum Thema Sicherheit. Bei letzterem erfuhren die Teilnehmer*innen, wie sie das eigene Sicherheitsrisiko während ihrer Recherche minimieren können. Sie lernten sich in Gefahrensituationen, wie Demonstrationen oder Protesten, richtig zu verhalten. Das kann zum Beispiel im Vorfeld der nationalen Wahlen 2022 wichtig werden. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf der Sicherheit von Journalist*innen, da diese der Menschenrechtsorganisation ‚Article 19‘ zufolge, die diese Kurseinheit vermittelte, besonders von geschlechtsspezifischer Gewalt, zum Beispiel sexueller Belästigung betroffen sind. Bisher waren die Trainings vor allem für die Mitarbeiter*innen von Radio Waumini. In Zukunft sollen auch vermehrt Journalist*innen von anderen Radiostationen im Land zu den Seminaren eingeladen werden.

Außerdem entwickelten die Journalist*innen des Senders zusammen mit mir ein neues Feature-Format: längere Radiostücke zu einem Konfliktthema, die in mehreren Folgen gesendet werden. Sie machen keine Advocacy-Arbeit, sondern lernen, Informationen nicht ungefragt zu übernehmen und alle Seiten zu Wort kommen zu lassen, damit die Hörer*innen sich selbst eine Meinung zu einem Thema bilden können und Konflikte in ihrer Ganzheit verstehen.“


„Journalist*innen müssen Informationen und Geschichten auf den Grund gehen. Wir müssen Fehlinformationen entgegenwirken und dürfen keine halbgaren Infos verbreiten.“ – Irene Wambui, Programm Managerin Radio Waumini


„Ein Beispiel: Eines unserer Features beschäftigt sich mit Extremismus an der Küste. Dazu haben wir Frauen interviewt, die von ihren Männern oder Söhnen verlassen wurden, weil diese sich einer extremistischen Terrorgruppe angeschlossen haben. Diese Frauen werden oft übersehen, obwohl es sie besonders hart trifft: Sie müssen das Trauma verarbeiten, verlassen worden zu sein und werden oft von der Gesellschaft und ihrer näheren Umgebung ausgegrenzt. Das Bearbeiten von solch sensiblen Themen erfordert Fingerspitzengefühl. Einerseits müssen wir als Journalist*innen Informationen auf Echtheit überprüfen, andererseits steht die Sicherheit unserer Quellen immer an erster Stelle – psychisch wie physisch. Bei diesem Feature war zum Beispiel während der Interviews auch eine psychologische Beraterin anwesend, die den Frauen bekannt war.

Corona erfordert von uns als Team bei Recherchereisen auf unsere Sicherheit und die unserer Interviewpartner*innen zu achten. Interviews werden daher mit großem Abstand sowie mit Mikros, Aufnahmegeräten und Masken geführt.

Mit Hilfe der Unterstützung des ZFD schafft Radio Waumini – neben der Journalist*innenausbildung – vor allem Aufmerksamkeit für Themen und marginalisierte Gruppen der Gesellschaft und ermöglicht so den Hörer*innen über den eigenen Tellerrand zu sehen.“


Der obige Beitrag wurde von ZFD-Fachkraft Anne Fleischmann zusammen mit der freien Journalistin Ursula Radermacher verfasst und am 10. Februar 2021 auf der Internetseite des ZFD-Trägers AGIAMONDO veröffentlicht. Für die Veröffentlichung auf der Internetseite des Konsortiums ZFD wurde der Einstieg leicht bearbeitet. Das Foto stammt ebenfalls von Anne Fleischmann. Es zeigt die beiden Journalistinnen Kate Odour und Jane Mwangi (v.l.) beim Sicherheitstraining der Menschenrechtsorganisation Article19.