Im Fokus:
Mazedonien
1991 erklärte Mazedonien seine Unabhängigkeit. Bis heute ringt das Land um inneren Frieden und Entwicklung, genauso wie um internationale Anerkennung. Wirtschaft und Infrastruktur sind schwach. Die Gesellschaft ist zerrüttet. Die Geschehnisse von 2001, als es fast zu einem Bürgerkrieg kam, belasten das Land bis heute. Es herrscht ein nervöser Frieden.
Verstreute Identitäten
Mit der Unabhängigkeit Mazedoniens keimte in den Nachbarländern die Sorge über mögliche Gebietsansprüche der neuen Nation auf. Denn auch in Griechenland, Albanien und Bulgarien leben Mazedonierinnen und Mazedonier. Griechenland bestand daher auf dem sperrigen Landesnamen „ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien“ und wehrt sich gegen eine Mitgliedschaft des Landes in EU und NATO. In Mazedonien leben rund zwei Millionen Menschen, davon sind etwa 64 Prozent Mazedonierinnen und Mazedonier. Die größte Minderheit bilden die Albanerinnen und Albaner mit rund einem Viertel der Bevölkerung. Sie siedeln größtenteils im Nordwesten Mazedoniens. In Mazedonien leben außerdem Türken, Roma, Serbinnen, Bosniaken, Vlachinnen und andere Ethnien.
Seit langem: Neben- statt miteinander
Im Alltag haben die Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft kaum Berührungspunkte. Gegenseitige Ressentiments haben seit 1991 genauso zugenommen wie der Verdruss der Minderheiten. Minderheitenrechte, die in Jugoslawien noch existierten, wurden nach der Unabhängigkeit eingeschränkt. Schon 1991 führte dies zu Zwist, der sich während des Kosovo-Kriegs von 1998/99 verschärfte. Damals suchten rund 380.000 Kosovo-Albanerinnen und -Albaner Zuflucht in Mazedonien. Das Land war mit der Versorgung jedoch überfordert. Die aufgeheizte Stimmung schürte nationalistische und separatistische Herde in Teilen der albanischen Bevölkerung. 2001 entbrannten im (Nord-) Westen Mazedoniens Gefechte zwischen albanischen Rebellen und mazedonischen Sicherheitskräften. In anderen Landesteilen kam es zu Übergriffen auf die albanische Minderheit. Die Gefahr eines Bürgerkriegs lag in der Luft. Insgesamt verloren mehrere hundert Menschen ihr Leben, schätzungsweise 170.000 mussten ihre Heimat verlassen.
Im selben Land und doch in anderen Welten
Mit dem Rahmenabkommen von Ohrid, unterzeichnet im August 2001 unter Vermittlung der EU, wurde der bewaffnete Konflikt beendet. Das Abkommen sah unter anderem eine Entwaffnung der Aufständischen und im Gegenzug eine Ausweitung der Minderheitenrechte vor, wie etwa das Recht auf muttersprachliche Bildung. Neben Mazedonisch sollte jede weitere Sprache auf kommunaler Ebene dann zur Amtssprache erhoben werden, wenn sie von mehr als 20 Prozent der Bevölkerung gesprochen wird. In manchen Regionen Mazedoniens wird daher offiziell auch Albanisch, Türkisch, Romani, Serbisch oder Vlachisch gesprochen. Im Alltag wird die ethnische Vielfalt in der Regel nicht als kulturelle Bereicherung betrachtet. Sie dient vielmehr als Rechtfertigung für weitere Abgrenzungen. Bis heute werden mazedonische und albanische Schülerinnen und Schüler in getrennten Klassen unterrichtet. Manchmal gibt es sogar separate Schulgebäude. Eine wirkliche Gleichstellung der Minderheiten ist bis heute nicht erreicht. Jede Gruppe hat ihre eigene Sichtweise, wenn es um die Geschichte Mazedoniens geht. So leben sie zwar im selben Land und doch in anderen Welten.
Unter diesen Bedingungen kommt die Versöhnung kaum voran. Die Vertreibungen, Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen von 2001 haben die gesellschaftlichen Beziehungen stark beschädigt. Feindseligkeit und Vorurteile zwischen den Bevölkerungsgruppen überwiegen bis heute. Ohne eine Aufarbeitung der Vergangenheit, ohne Annäherung und Versöhnung wird sich daran nichts ändern. Erschwert wird die Situation durch eine lahmende Wirtschaft mit einer Arbeitslosenquote von rund 30 Prozent und einer schwachen Infrastruktur. Hinzu kommt, dass die Politik ähnlich zerrissen ist wie die Gesellschaft. Von 2015 bis 2017 führte dies zu einer schweren innenpolitischen Krise. Der Friedensprozess bleibt – auch 17 Jahre nach dem Abkommen von Ohrid – steinig, wie der Sprachenstreit von Anfang 2018 zeigt: Eine vom Parlament beschlossene Gesetzesvorlage, die Albanisch nun tatsächlich zur zweiten Amtssprache machen sollte, wurde vom amtierenden Staatspräsidenten bisher nicht gebilligt.
Mit- statt gegeneinander
Die Gesellschaft des westlichen Balkans bleibt auch lange nach den Bürgerkriegen zerrissen. Von politischer Seite wird dies Zerwürfnis vielfach verschärft. In Mazedonien flammte auch in den vergangenen Jahren sporadisch Gewalt auf. Die Gefahr einer erneuten Eskalation besteht weiterhin. Umso wichtiger ist die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die daran arbeiten, den Zusammenhalt zu fördern. Eine dieser Organisationen ist LOJA, die 2000 in Tetovo gegründet wurde. LOJA bringt die Bevölkerungsgruppen mit kulturellen und Bildungsangeboten wieder miteinander in Kontakt. Die Organisation ist inzwischen führend in nationaler Bildungspolitik. Seit 2002 wird die Organisation vom Zivilen Friedensdienst unterstützt.
Fotos (von oben): Wikimedia Commons / Jasne, Wikimedia Commons / Adam Jones, Ph. D., Wikimedia Commons / Adam Jones, Ph. D., KURVE Wustrow