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Ukraine: Ausstellung zu Kindheit im Krieg

„Aus den Schatten“: So lautete der Titel einer Ausstellung, die das War Childhood Museum, ein Partner des ZFD-Trägers forumZFD, kürzlich in Kyjiw zeigte. Das Projekt beleuchtet eine Perspektive, die in den Nachrichten zu Kämpfen, Frontverlauf und politischen Entscheidungen nur allzu leicht übersehen wird: die Geschichten von Kindern und Jugendlichen im Krieg.

Ende Juni in Kyjiw. Es sind bunte Objekte aus dem Alltag, die in der Stille des Museums davon berichten, wie schnell Kinder in der Ukraine erwachsen werden müssen. Ein Real Madrid-Fußball-Trikot aus der Stadt Kramatorsk im Donbas, aus dem der damals elfjährige Andrii längst herausgewachsen ist. Ein Schlüsselbund, der zu einer Wohnung in der von Russland besetzten Stadt Mariupol gehört, aus der die fünfzehnjährige Amina knapp mit ihrem Leben davongekommen ist. Ein roter Spielzeugdrache aus Polen, wohin die Familie der mittlerweile elfjährigen Arina nach Beginn der Invasion geflüchtet war.

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Persönliche Gegenstände ukrainischer Kinder

„Es ist unsere Pflicht all diese Erfahrungen und Erinnerungen zu dokumentieren“, sagt Oleksandra Dmytrenko, Projektmanagerin und Kuratorin. Die 31-Jährige arbeitet für das „War Childhood Museum“ (auf Deutsch: Museum für Kindheiten im Krieg), das die Ausstellung im Kyjiwer Schewtschenko-Museum zeigt. Die Exponate, 29 persönliche Gegenstände ukrainischer Kinder und Jugendlicher, befinden sich hinter gläsernen Vitrinen. Ballettschuhe, ein Ladekabel für das Smartphone, ein Armband. Daneben prangen kurze Texte, in denen die Betroffenen anonymisiert zu Wort kommen und erklären, welche Rolle die Objekte in ihrem kurzen Leben spielen. Es sind Schilderungen von Momenten aus dem Krieg, Momenten aus der Kindheit.

Alle sind vom Krieg betroffen

Mehr als zwei Jahre sind seit dem Moment des großen Schocks am 24. Februar 2022 vergangen. „Jeder in der Ukraine ist vom Krieg betroffen – aber eben nicht auf dieselbe Art und Weise“, sagt Veronika Romanyk. Die Zwanzigjährige arbeitet im Museum und führt die Besucher*innen sanft an das Thema der Ausstellung heran, die sie als starke und wichtige Erinnerung an die brutale Realität des Krieges bezeichnet. „Jeder, der sich die Ausstellung ansieht, reagiert anders“, sagt Romanyk. Manchmal erzählen die Besucher*innen ihre eigenen Geschichten, Gedanken und Erfahrungen. „Dann hören wir ihnen zu. Manchmal sprechen die Leute auch gar nicht, sondern weinen einfach nur und haben dabei vielleicht das Gefühl, dass sie nicht allein sind.“ Mehr als 600 Menschen haben sich die Ausstellung bisher angesehen. Manche lassen an der Pinnwand am Eingang handgeschriebene Botschaften und Erinnerungen an ihre eigene Kindheit zurück.

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 Tiefe seelische Wunden

Es sind nicht nur die Kampfhandlungen und Explosionen, unter denen auch die jungen Menschen in der Ukraine leiden, sondern die Umstände, unter denen sie aufwachsen und lernen – in unterirdischen Schulen etwa, die in Städten wie Charkiw oder Saporischschja gebaut werden. Dazu kommen die Erfahrungen im persönlichen Umfeld: Laut einer im Jahr 2024 vom International Rescue Committee durchgeführten Studie geben 74 Prozent der Befragten an, dass sie aufgrund des Krieges von einem engen Familienmitglied getrennt wurden. Solche Erfahrungen können nicht nur in jungem Alter tiefe seelische Wunden hinterlassen, weiß Kuratorin Dmytrenko.

Und dennoch: „Es ist uns trotz des großen Leids und der Trauer wichtig, dass wir den Besucher*innen der Ausstellung Hoffnung mitgeben“, sagt Dmytrenko. „Denn gerade Kinder verfügen über diese Gabe, mit großen Schwierigkeiten auf ihre eigene Art umzugehen.“ Der kindliche Blick könne den Erwachsenen helfen, die Dinge anders zu sehen. 

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Das Erlebte aufarbeiten

Hunderte persönliche Geschichten hat das War Childhood Museum in den vergangenen Jahren in der Ukraine gesammelt, nur ein Bruchteil davon wird in der Ausstellung gezeigt. „Das Projekt fängt Gefühle und Einstellungen ein, macht aber gleichzeitig viel mehr als das“, sagt Aziz Demirdzhaiev. „Es hilft der Gesellschaft dabei, mit der Vergangenheit und der schwierigen Gegenwart umzugehen.“

Der 33-Jährige arbeitet im Büro des forumZFD in Kyjiw. Das Dokumentieren der verschiedenen Erfahrungen spiele nicht nur eine wichtige Rolle beim Umgang mit dem Erlebten, sondern auch bei der Aufarbeitung. Zwar wurde die Ausstellung in Kiew nur für rund zwei Monate gezeigt. Wichtig sei jedoch, dass die Aufmerksamkeit in den westlichen Partnerländern auf das Thema gelenkt werde. „Wir hoffen, dass die Exponate einen dauerhaften Platz finden, und auch in EU-Ländern gezeigt werden“, sagt Demirdzhaiev. 


In mehr als 20 bewaffneten Konflikten weltweit hat das War Childhood Museum seit seiner Gründung im Jahr 2012 Kindheitsmomente dokumentiert. Seinen Ursprung hatte die Idee in Sarajewo in Bosnien und Herzegowina, das ukrainische Team nahm 2018 die Arbeit auf.

Der Text stammt von Daniela Prugger und ist zuerst auf den Seiten des forumZFD erschienen. Für unsere Webseite haben wir ihn gekürzt und leicht angepasst.

Fotos: Mykyta Zavylynski, War Childhood Museum (oben), Daniela Prugger