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Svenja Schulze: „Beispiele zeigen deutlich, wie vielfältig und wichtig die Arbeit des ZFD ist“
29.10.2024Der Zivile Friedensdienst wird 25 Jahre alt. Im November 1999 wurde er von deutschen zivilgesellschaftlichen und kirchlichen Organisationen und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet. Im Gespräch mit der ZFD-Redaktion verdeutlicht Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie wichtig der ZFD angesichts gewalttätiger Konflikte und des Klimawandels weiterhin ist.
ZFD-Redaktion: Frau Schulze, als in den 90er Jahren die Kriege auf dem Balkan Europa erschütterten, wurde die Idee für den Zivilen Friedensdienst (ZFD) geboren. 25 Jahre später sorgen die Kriege in der Ukraine und Nahost erneut tagtäglich für grauenvolle Nachrichten. Dazu gibt es mehr als 200 gewalttätig ausgetragene Konflikte weltweit, über die hierzulande kaum berichtet wird.
Welche Relevanz hat der Zivile Friedensdienst in diesen Zeiten?
Svenja Schulze: Die Relevanz in diesen Zeiten sieht man vor Ort: In der Ukraine beispielsweise arbeiten aktuell neun Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes mit den Ukrainer*innen daran, ihr kollektives Kriegstrauma aufzuarbeiten. In Odessa geben sie beispielsweise Resilienztrainings und erarbeiten mit den Menschen vor Ort Strategien, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken. In Dnipro bietet der ZFD Kinderbetreuung an, damit Eltern sich engagieren oder Beratungsangebote wahrnehmen können. Das schafft gleichzeitig auch für die Kinder neue Räume, um soziale Kontakte mit Gleichaltrigen aufzubauen.
Auch im Nahen Osten gibt es viele gute Beispiele. In Sinjar im Irak unterstützen Friedensdienstleistende die Bevölkerung dabei, Safe Spaces in Form von zwei Bücher-Cafés aufzubauen. Seit Oktober 2023 sind drei Friedensbusse in Sinjar, Tal Afar und Ayadiya sowie in Dohuk und Erbil unterwegs. Sie dienen als mobile Plattformen für Friedensförderung. Durch die Busse kommen Menschen aus verschiedenen, auch unzugänglicheren Regionen, miteinander in Kontakt und können gemeinsam lernen. Im Nordirak arbeitet der ZFD beispielsweise mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Institutionen zusammen, um IS-Verbrechen aufzuarbeiten und sich für Gerechtigkeit und Versöhnung einzusetzen. Dazu sichern die Partnerorganisationen Zeug*innenaussagen oder sammeln Beweise durch die Aushebung von Massengräbern. Diese Beispiele zeigen deutlich, wie vielfältig und wichtig die Arbeit des ZFD ist.
ZFD-Redaktion: Welche Rolle spielt zivile Konfliktbearbeitung bei der Bewältigung der Klimakrise?
Svenja Schulze: Durch den Klimawandel entstehen viele Konflikte, die es so vorher nicht gab. In Kenia beispielsweise trocknen die Flüsse aus, sodass es zu Verteilungskonflikten um Wasser kommt. In Nanyuki im Südwesten Kenias setzen sich Friedensdienstleistende deshalb für Aufklärungsarbeit rund um den Fluss Ewaso Ng’iro ein. Sie sprechen mit den Anwohnenden entlang des Flusses darüber, wie das Austrocknen des Flusses verhindert werden kann. Der Dialog hat Erfolg: Viele illegale Wasserleitungen wurden seitdem abgestellt, weniger Uferwälder abgeholzt und weniger Sand aus dem Flusslauf entnommen. Außerdem gibt es neue kommunale Gemeinschaftsinitiativen, die Bäume in Quellgebieten anpflanzen. Dieses miteinander reden und sich gemeinsam engagieren, streut nicht nur wichtige Informationen über Klimaschutz, sondern führt auch zu einem Dialog zwischen ethnischen Gruppen, die vorher verfeindet waren.
ZFD-Redaktion: Was bringt zivile Friedensarbeit im Ausland für Deutschland und das globale Staatengefüge?
Svenja Schulze: Der ZFD leistet Friedensarbeit auf der ganzen Welt. Deutschland – und die Welt überhaupt – haben ein Interesse daran, dass überall auf der Welt Frieden herrscht. Aus humanitären und wirtschaftlichen Gründen, denn jedes Kriegsopfer ist ein Opfer zu viel. Und mit friedlichen Staaten lässt sich besser handeln.
Außerdem stärkt der Zivile Friedensdienst das Verständnis, dass Hunger, Armut und Ungleichheit - also die Hauptursachen für Konflikte - keine lokalen oder regionalen Probleme sind. Sie alle haben strukturelle Ursachen, für die vor allem auch Länder aus dem Globalen Norden eine Mitverantwortung tragen. Sie alle müssen deshalb auch global gedacht und gemeinsam gelöst werden.
Darüber hinaus betonen die Friedensdienstleistenden, dass ihre Einsätze eine Möglichkeit sind, ihre eigenen Horizonte zu erweitern, Lebenserfahrung in unterschiedlichen Kontexten zu sammeln, eigene Grenzen und Möglichkeiten besser kennenzulernen.
Und ganz wichtig: durch die Arbeit mit den Partnern entsteht etwas ganz Neues, was die Probleme vor Ort passgenau adressiert. Neue Arbeitsplätze, die das Leben vieler Menschen ein bisschen selbstbestimmter und unabhängiger machen. Formate, die den Austausch zwischen ethnischen Gruppen fördern. Und davon profitieren alle Staaten weltweit. Denn Friedensdienstleistende sorgen für mehr Verständigung, machen auf globale Probleme aufmerksam und entwickeln mit den Menschen vor Ort neue Wege der zivilen Konfliktlösung.
ZFD-Redaktion: Mit Blick auf die nächsten 25 Jahre: Welche Investitionen in den Frieden müssen getroffen werden? Wie setzen Sie sich als Ministerin dafür ein?
Svenja Schulze: Eins ist klar: es muss viel mehr investiert werden in öffentliche Güter wie Bildung, Klimaschutz und Hungerbekämpfung. Gerade Superreiche müssen mehr zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen. Ich setzte mich daher für eine globale Milliardärssteuer nach dem Vorschlag der Brasilianischen G20-Präsidentschaft ein. Wenn alle Milliardäre weltweit mindestens zwei Prozent Steuern auf ihr Vermögen zahlen würde, hätte die Weltgemeinschaft schätzungsweise 250 Milliarden US-Dollar pro Jahr zusätzlich, um den Hunger zu bekämpfen, Konflikten vorzubeugen, zukünftige Pandemien zu vermeiden oder den Klimawandel zu begrenzen.
Aber Investition in den Frieden bedeutet nicht nur mehr Geld auftreiben, sondern auch das vorhandene Geld gerechter verteilen. Damit es sich auch die Länder aus dem Globalen Süden leisten können, in Maßnahmen gegen Hunger, Armut, Ungleichheit und die Folgen des Klimawandels zu investieren. Denn nur wenn alle die Mittel haben, um mitanzupacken, können wir das Ruder für die Agenda 2030 gemeinsam rumreißen.
ZFD-Redaktion: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Foto: BPA/ Steffen Kugler