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Sierra Leone: Tank gegen Teller

Versprochen war eine Win-Win-Situation. Das größte landwirtschaftliche Investitionsprojekt in der Geschichte des Landes lief auch ganz gut an. Doch vor einigen Jahren geriet das Bioenergie-Projekt zunehmend in die Kritik. Im März 2019 sollten nun die Menschen aus dem angrenzenden Dorf Tonka zwangsumgesiedelt werden. ZFD-Partner SiLNoRF konnte eine Eskalation der Lage und auch die Umsiedlung bislang verhindern.

Das „Sierra Leone Network on the Right to Food“, abgekürzt SiLNoRF, ist ein seit 2010 bestehendes Netzwerk zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich für Umweltschutz und Menschrechte starkmachen. Gleich mehrere ZFD-Partner sind bei SiLNoRF aktiv, darunter CSSL, Culture Radio, MADAM und SLADEA. Die Mitglieder des Netzwerks stärken Gemeinden und Bevölkerung für die Herausforderungen der Ernährungssicherung und Landnutzung. Ressourcenkonflikte stellen eine zentrale Bedrohung für das friedliche Zusammenleben in Sierra Leone dar. Dabei mangelt es im Grunde weder an fruchtbarem Boden, noch an Bodenschätzen. Doch beides bringt der lokalen Bevölkerung mehr Fluch als Segen. Internationale Unternehmen sichern sich vielerorts die Rechte an der Landnutzung, sei es für den Abbau von Rohstoffen, sei es für den Ausbau von Plantagen zur Produktion von Kautschuk, Palmöl und Holz. Die Bevölkerung wird dabei nicht selten übergangen.

Besagtes Bioenergie-Projekt wurde 2008/9 auf den Weg gebracht. Es sollte der Makeni-Region in der sierra-leonischen Nordprovinz wirtschaftlichen Aufschwung und nachhaltige Entwicklung bringen. Der Energiekonzern „Addax Bioenergy“ handelte mit der örtlichen Bevölkerung Pachtverträge für rund 50.000 Hektar Land für einen Zeitraum von 50 Jahren aus. Auf dem Land wurde fortan Zuckerrohr angebaut, aus dem Ethanol gewonnen wurde. Dieses wiederum war zum großen Teil als „Biosprit“ für den europäischen Markt bestimmt, in Teilen sollte die Produktion auch dem Energienetz Sierra Leones zugutekommen. Zuvor hatte die Bevölkerung das verpachtete Land überwiegend zur Subsistenzwirtschaft genutzt und kam dabei einigermaßen über die Runden. Tatsächlich lief das Projekt gut an, so wurden unter anderem über 3.000 neue Jobs geschaffen. Doch Mitte 2015 wurde die Produktion heruntergefahren, 2016 schließlich eingestellt. Die meisten Angestellten verloren ihre Arbeit. Die Erträge aus der Pacht allein reichen kaum zum Überleben. Das Projekt wurde Ende 2016 an den Britisch-Chinesischen Konzern „Sunbird Bioenergy“ verkauft. Die Lage hat sich seitdem nicht gebessert, wie das aktuelle Beispiel Tonka zeigt.

Das kleine Dörfchen Tonka liegt in unmittelbarer Nähe zur Fabrikanlage. 300 Menschen leben hier. Schon vor einiger Zeit konnte nachgewiesen werden, dass das Trinkwasser im Dorf durch die beim Zuckerrohranbau genutzten Pestizide und Düngemittel belastet ist. Da eine Umsiedlung der örtlichen Bevölkerung von Anfang an ausgeschlossen worden war, wurden zunächst Wassertanks mit sauberem Trinkwasser bereitgestellt. Im März 2019 jedoch hieß es auf einmal, das Dorf solle innerhalb von drei Tagen umgesiedelt werden. Die Aufregung war groß, einige Dorfbewohnerinnen und -bewohner drohten mit gewaltsamer Gegenwehr, sollte es tatsächlich zu einer Zwangsumsiedlung kommen. Durch die konfliktsensible Vermittlung von SilNoRF und NAMATI, einer sierra-leonischen Nichtregierungsorganisation, die sich auf juristische Beratung und Landrechte spezialisiert hat, konnte die Umsiedlung erst einmal verhindert und die Situation entspannt werden. Inzwischen wurde eine Umsiedlung für 2020 angekündigt. Die Menschen in Tonka wissen aber nach wie vor nicht, wie und wo es weitergehen wird. „Weder die neuen Örtlichkeiten, noch der Rechtsrahmen, auf dessen Grundlage die Umsiedlung stattfinden soll, sind geklärt. Auch Entschädigungsfragen für gesundheitliche Schädigungen aber auch für materielle Verluste und das Verlassen des angestammten Landes und der traditionellen Orte, die für die Gemeinschaft soziale und kulturelle Bedeutung haben, sind ungeklärt“, berichtet Caroline Kruckow, Referentin für Frieden und Entwicklung beim ZFD-Träger Brot für die Welt. Der ZFD wird seine Partner vor Ort weiterhin darin unterstützen, den Menschen in Tonka beizustehen. 

 


Einen ausführlichen Bericht über die aktuelle Lage in Tonka finden Sie im Blogbeitrag „Die Ungewissheit nimmt kein Ende“ von Caroline Kruckow, Referentin für Frieden und Entwicklung beim ZFD-Träger Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. Einen tiefergehenden Einblick in die Hintergründe und Geschehnisse beim Makeni-Projekt bietet die Studie „The Weakest Should not Bear the Risk“ (dt.: „Den Schwächsten darf nicht die Hauptlast aufgebürdet werden!“) von Brot für die Welt und Brot für alle (2016, PDF, 52 Seiten, Englisch).

Das Engagement des ZFD in Sierra Leone: Fachkräfte des ZFD stärken ihre Partnerorganisationen darin, den vielfältigen Herausforderungen mit zivilgesellschaftlichem Engagement zu begegnen. Die Partner arbeiten mit lokalen Gemeinschaften, damit diese gut informiert über die Nutzung natürlicher Ressourcen auf ihrem Land entscheiden und ihre Interessen vertreten können. Sie werben für Transparenz und Beteiligung von Betroffenen und nutzen internationale Mechanismen wie die Beschwerdeverfahren der Entwicklungsbanken oder die „Voluntary Guidelines on the Responsable Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forests“ der Vereinten Nationen. Des Weiteren zielt die Arbeit darauf ab, das soziale Gefüge zu stärken und die Menschen dabei zu unterstützen, sich als Bürgerinnen und Bürger aktiv in öffentliche Angelegenheiten einzubringen. Die Fachkräfte unterstützen die Partner in den Bereichen Kommunikation, Forschung, Lobby und Advocacy, insbesondere auch bei der Entwicklung von Strategien im Umgang mit multinationalen Investoren. Mehr über das Engagement des Zivilen Friedensdienstes in Sierra Leone erfahren Sie in unserer Projektdatenbank.

 

Foto: Brot für die Welt (Coverfoto der Publikation „The Weakest Should not Bear the Risk“)