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Ostafrika: Der fehlende Mut der Religionen

In vielen Ländern in Ostafrika und am Horn von Afrika wurde kürzlich oder wird bald gewählt – oft gefolgt Konflikten und Gewalt. Vom 19. bis 20. Mai 2022 haben sich auf Einladung des Instituts IRDIS zahlreiche internationale Teilnehmende getroffen, um online über die Bedeutung der Religionen in diesem Zusammenhang zu sprechen. Wie ist die Konferenz verlaufen?

Eder: Prinzipiell war die Konferenz sehr gut und erfolgreich. Allerdings nicht ganz so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir wollten die Konferenz regional aufziehen. Doch alle Speaker, die nicht aus Kenia kamen, mussten aus Sorge um ihre Sicherheit kurzfristig absagen. Sie befürchteten negative Auswirkungen für sich und ihre Familien, wenn sie über das Thema Religion und Wahlen sprechen würden. Ursprünglich wollten Speaker über die Situation im Südsudan, in Uganda, Tansania, Somalia und Eritrea sprechen. Zu einigen haben wir den Kontakt verloren. Wie brisant das Thema Religion und Wahlen in Ostafrika ist, zeigte sich auch daran, dass wir unsere Konferenz in den Social Media nicht bewerben konnten. Wir wurden immer wieder herausgefiltert. Es war nicht möglich, Anzeigen zu schalten, egal wie oft wir es versucht haben. Die Begründung der Provider waren angebliche Verstöße gegen die Community Standards. Also haben wir den regionalen Schwerpunkt der Veranstaltung auf Kenia gelegt. Wir sind also mit unserer eher beobachtenden, wissenschaftlichen Herangehensweise an das Thema schon an die Grenzen dessen gestoßen, was in der Region zurzeit gesagt werden darf. Das hat uns selbst überrascht.

Was macht das Thema Wahlen in der Region so brisant?

Eder: Wahlen sind an sich etwas Gutes. Allerdings blicken wir in Ostafrika und am Horn von Afrika auf eine Region, in der die Bilanz von Wahlen bestenfalls durchwachsen ist. Zwar wurden in einigen Ländern Fortschritte in Bezug auf institutionelle Effizienz und Transparenz der Verwaltung erzielt. Doch in den letzten Jahrzehnten gab es in vielen Bereichen auch Mängel: Es gibt zu wenig politische Partizipation und der Wählerauftrag wird oft vernachlässigt. Zudem stehen weniger gesellschaftliche Fragen, sondern vielmehr einzelne Persönlichkeiten, ethnische und religiöse Zugehörigkeit, Klasse, Familie usw. im Zentrum von Wahlkämpfen. Auch Korruption ist ein Problem. In Ostafrika und am Horn von Afrika kommt es immer wieder zu politischer Gewalt im Zusammenhang mit Wahlen. Machtwechsel finden selten wirklich friedlich statt.

Wie haben die Teilnehmenden der Konferenz die Rolle von Religionen in diesem Zusammenhang beschrieben?

Eder: Religionen haben die Kraft, sich auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene für soziale Entwicklung, Frieden und Verständigung einzusetzen. Gleichzeitig haben sie aber – überall auf der Welt und zu jedem Zeitpunkt der Geschichte – auch die Macht, Konflikte zu schaffen oder zu schüren. Wir von IRDIS setzen uns für einen integrativen und interreligiösen Dialog als Instrument für den Frieden in der Region ein.

Auf der Konferenz ging es uns um einen ausgewogenen Blick auf die Rolle, die Religionen für die Menschen in Ostafrika und dem Horn von Afrika spielen können. Mit Expertinnen und Experten haben wir dazu verschiedene Aspekte durch eine „religiöse Brille“ betrachtet.

Mit Blick auf Kenia haben wir zum Beispiel über die Rolle der christlichen Kirchen gesprochen, die im Verdacht stehen, sich von der Politik instrumentalisieren zu lassen – etwa in Kenia auch stärker als muslimische Akteure. Besonders neue, evangelikale Bewegungen sind betroffen. Außerdem haben wir über Ethnizität und Religion, über Empowerment und Korruption diskutiert.

Welche zentralen Erkenntnisse konnten Sie durch den Austausch mit den Fachleuten gewinnen?

Eder: Im Fokus stand die Sprechfähigkeit von religiösen Akteuren. Eigentlich besitzen sie viele Vorteile, die sie nutzen könnten, um sich für soziale Fragen und Frieden einzusetzen. Religiöse Akteure und Führungspersonen sind gesellschaftlich zum Beispiel angesehener als Politikerinnen und Politiker oder NGO. Somit sind sie innerhalb eines gewissen Rahmens eher vor Repressalien geschützt. Doch dieses Potenzial wird zurzeit kaum genutzt. So sagte zum Beispiel Prof. Azza Karam, Generalsekretärin von Religions for Peace, eine der größten interreligiösen Organisation weltweit, dass sich auf internationaler Ebene zwar viele religiöse Akteure für eine gerechtere Politik einsetzten. Doch solange es bei Statements und Deklarationen bliebe, habe dies keine Auswirkung auf den Alltag der Menschen. Religiöse Akteure sollten sich ihrer Meinung nach also mehr trauen und sich dabei nicht von der Politik vereinnahmen lassen. Im Moment fehlt vielen der Mut dazu. Das war eine zentrale Erkenntnis unserer Konferenz.

Wir haben auch festgestellt: Religiöse Akteure verzetteln sich oft auf Nebenschauplätzen, statt über soziale Fragen, über Armut und Gerechtigkeit zu sprechen. Oder über die goldene Regel, die allen heiligen Schriften gemeinsam ist: Nämlich andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Stattdessen geht es oft um kleine Privilegien, um religiöse Spaltung oder um Ethnizität. Häufig werden vor Wahlen von vielen Politikerinnen und Politikern in der Region Ablenkungsmanöver genutzt – plötzlich wird etwa über die Moral der Jugend diskutiert und nicht mehr über Korruption.

Wie geht die Arbeit von IRDIS nach der Konferenz weiter?

Eder: In den Gesprächen, aber auch durch das Fehlen unserer internationalen Speaker, wurde ganz deutlich: Die Menschen in der Region brauchen geschützte Räume, um sich über die Rolle der Religionen auszutauschen. Deswegen wollen wir in Zukunft verstärkt geschützte Formate anbieten, vor allem für die Menschen aus den Nachbarländern Kenias. Wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, sich zu vernetzen, Erfahrungen aus den jeweiligen Regionen zu teilen und sich auszutauschen über die Bedeutung von religionsüberschreitenden Aktivitäten für die Friedensarbeit.

Außerdem haben wir Bedarf an Weiterbildung festgestellt: Religiöse Führungsfiguren und Aktivistinnen und Aktivisten brauchen zum Beispiel Trainings, um Soziale Media sinnvoll und effizient für Friedensarbeit nutzen zu können. Sie müssen wissen, wie ein sicherer Umgang damit möglich ist und wie sie Reichweite schaffen können. Dazu werden wir Trainingseinheiten entwickeln.


Das Institut Interreligious Dialogue and Islamic Studies (IRDIS) ist ein Knotenpunkt für den interreligiösen Dialog in Kenia. Das in Nairobi angesiedelte Institut ist eine Kooperation des „Tangaza University College“, der „Missionaries of Africa“ und des Zivilen Friedensdienstes (AGIAMONDO). Alle drei Partner verfügen über langjährige Erfahrungen im Dialog zwischen den Religionen. IRDIS baut auf die drei Säulen Wissenschaft, Praxis und Vernetzung auf. Zu den Mitgliedern des Kernteams zählt auch ZFD-Fachkraft Matthias Eder sowie ZFD-Juniorfachkraft Susann Gihr. Mehr über IRDIS erfahren Sie in unserem Beitrag „Kenia: Mit Religionen Brücken bauen“.

Das Foto zeigt das IRDIS-Team (AGIAMONDO/ Florian Kopp).