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Nepal: Vom Schicksalsschlag zum Botschafter des Friedens

Surendra Khatri aus Nepal wurde während des Bürgerkriegs in seinem Land durch eine Bombe schwer verletzt. Beide Hände mussten amputiert werden. Heute setzt er sich als Vorsitzender des Nationalen Netzwerks für Konfliktopfer mit Behinderung für Frieden und Verständigung ein. Unterstützt wird seine Organisation durch Fachkräfte des ZFD-Trägers GIZ. In diesem Beitrag erzählt Surendra Khatri seine Geschichte. 

Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit einer Behinderung leben würde. Von klein auf hatte ich vor, in die indische Armee einzutreten und das Erbe meines Vaters fortzuführen. Aber als ich 18 Jahre alt war, nahm mein Leben eine 180-Grad-Wende. Damals dauerte der bewaffnete Konflikt zwischen Staat und Maoisten schon fast ein Jahrzehnt. Meine Heimatstadt Beni war Schauplatz eines der tödlichsten Gefechte. Am 24. Juni 2006 entpuppte sich ein harmlos aussehendes Päckchen, das ich beim Viehhüten aufgehoben hatte, als eine der Bomben, die während der Kämpfe zurückgelassen worden waren. Die Bombe verletzte mich an beiden Händen, sodass sie unterhalb des Handgelenks amputiert werden mussten. Ich hatte Splitter in der Brust und am ganzen Körper.

Selbstvertrauen wiedergewinnnen

Nach diesem Vorfall wusste ich nicht, wie mein Leben weitergehen sollte. Es dauerte fünf lange Jahre, bis ich mein verlorenes Selbstvertrauen wiedergefunden hatte. Erst als ich begann, an Programmen für Menschen mit Behinderungen teilzunehmen, konnte ich mein neues, verändertes Ich akzeptieren. Im Jahr 2017 wurde ich zu einem Storytelling-Workshop eingeladen, bei dem ich 14 andere Zivilist*innen aus dem ganzen Land traf, die als Folge des bewaffneten Konflikts eine Behinderung erlitten haben. Später erfuhr ich, wie schwierig es damals war, 14 Menschen aus ganz Nepal zusammenzubringen, die nicht zu einer der Kriegsparteien gehörten. Der Workshop schuf einen sicheren Raum, in dem die bis dahin ungehörten Geschichten dieser Menschen zur Sprache kamen. Das war auch mein erster Kontakt mit dem Zivilen Friedensdienst. 

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Vom Storytelling-Workshop zur Wanderausstellung

Unsere Geschichten wurden zunächst in einem Buch mit dem Titel „14 Stories“ zusammengefasst und dann in eine Wanderausstellung umgewandelt, die durch unsere Heimatstädte reiste. Ich glaube, dass die Ausstellung und das Buch uns Geschichtenerzähler*innen geholfen haben, von unseren Familien und Gemeinschaften in einem neuen Licht gesehen zu werden und Unterstützung zu erhalten. Auf einer dieser Reisen im Jahr 2018 entwickelte sich ein neuer Traum in mir: Nachdem ich andere Menschen mit konfliktbedingten Behinderungen in verschiedenen Teilen Nepals getroffen hatte, wollte ich sie nun an einem Ort zusammenbringen.

Wie man so schön sagt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. ZFD-Fachkräfte unterstützten meine Idee. Im Jahr 2019 führte ein nationales Treffen von 55 Zivilist*innen, die durch den Konflikt eine Behinderung erlitten hatten, zur Gründung des Nationalen Netzwerks für behinderte Konfliktopfer. Ein Jahr später wurde unser Netzwerk offiziell registriert, ich wurde zum Vorsitzenden gewählt und damit zu einem der anerkanntesten Interessenvertreter für Menschen mit Behinderung im Land.

Behinderung als Möglichkeit und Chance

Wäre ich zur Armee eingezogen worden, hätte ich vielleicht Geld bekommen, aber nicht die Möglichkeit, Menschen wie mir zu helfen. Ich hätte nicht die Anerkennung und Zufriedenheit bekommen, die ich heute habe. Jetzt hat mein Leben einen neuen Sinn. Ich benutze meine Geschichte, um die Botschaft des Friedens zu verbreiten. Die jungen Menschen in diesem Land wissen nicht genug über bewaffnete Konflikte und ihre Folgen. Wer könnte besser als wir über die Schäden des Krieges aufklären? Ich fühle mich am hoffnungsvollsten, wenn ich meine Geschichte erzähle und die Empathie und das Verständnis meiner jungen Zuhörenden sehe. Meine Behinderung sehe ich jetzt als Möglichkeit und Chance.


Text: Shaileshwori Sharma und Surendra Khatri, ZFD Nepal
Foto: GIZ
Siehe auch das Video des ZFD Nepal zum Thema: The living memories of war