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Michele Parente: Ein Leben für den Zivilen Friedensdienst

Michele Parente absolvierte 1998 einen der ersten Kurse in Ziviler Konfliktbearbeitung. Das Thema ließ ihn nie wieder los. Bis Oktober 2024 arbeitete er im Westbalkan-Programm des ZFD-Trägers forumZFD, nun geht er nach Indonesien. Wir sprachen mit ihm über seine Erfahrungen und ein Leben für den Zivilen Friedensdienst.

Lieber Michele, wie bist du zum Zivilen Friedensdienst gekommen?

Es ist eine sehr persönliche Geschichte. Ich habe begonnen, bevor es professionelle Expert*innen für zivile Konfliktbearbeitung gab. Alles hat aus persönlicher Motivation heraus angefangen, mit einem Freiwilligendienst. Ich habe damals in Luxemburg gelebt und studiert. Pax Christi deutsche Sektion und Pax Christi Luxemburg suchten Freiwillige, die sich in Flüchtlingslagern innerhalb von Bosnien und Herzegowina engagieren wollten. Damals dachte ich, ich nehme ein Sabbatjahr aus meinem Beruf, ich bin Erzieher und mache diese Erfahrung. Aus diesem Sabbatjahr bin ich dann nie zurückgekehrt.

Hatte der Freiwilligendienst auch schon etwas mit Friedensarbeit zu tun?

Es gab Flüchtlingslager für Displaced Persons, also Vertriebene innerhalb von Bosnien und Herzegowina, die sofort nach dem Krieg noch nicht zurückkehren konnten und dann in solchen Flüchtlingscamps einquartiert wurden. Da haben sie gelebt, bis die Bedingungen wieder gut genug waren, um zurückzukehren. Ich habe zusammen mit den Flüchtlingen gelebt, in Holzbaracken, unter sehr extremen Bedingungen ohne heißes Wasser, ohne Strom, im Winter auch sehr kalt. Es ging darum, dass wir das Leben mit den Menschen teilen, eine soziale Basis und Aktivitäten anbieten für Frauen, Kinder, Jugendliche, Erwachsene – ein Alltagsleben organisieren, damit das Leben auch im Flüchtlingslager so normal sein konnte wie möglich. Geflüchtete verschiedener Ethnien kamen da zusammen. Das war nicht einfach, so unmittelbar nach dem Krieg, weil auch Hassgefühle und Ressentiments aufkamen. Wir wollten ein Puffer sein, versuchen, zu deeskalieren, zu sozialisieren und Alltagsaktivitäten zu ermöglichen.

Du hast 1998 an einem der ersten Kurse teilgenommen und warst eine der ersten ausgebildeten Friedensfachkräfte überhaupt.

Genau, das fing gerade erst an. Damals hieß es noch Modellvorhaben Zivile Konfliktbearbeitung und war in Frille und Minden. Wir, forumZFD und Pax Christi Aachen, hatten ein konkretes Projekt vor Ort und wurden spezifisch für die Arbeit im Westbalkan, Serbien, Bosnien und Herzegowina und Kroatien ausgebildet. Für uns hieß das, die Menschen zu unterstützen, damit es ein friedliches Zusammenleben geben konnte zwischen Kroat*innen aus der Region und Serb*innen, die vor dem Krieg in Kroatien gelebt hatten, vertrieben wurden und zurückgekommen waren.
Der Ansatz war schon damals, mit lokalen Partnerstrukturen und Organisationen Programme und Projekte zu entwickeln und umzusetzen vor Ort. Das ist bis heute das Grundprinzip aller Konsortiumsmitglieder des Zivilen Friedensdienstes.

Ich habe das vier Jahre lang gemacht, dann dachte ich, das reicht mir. Ich habe dann für die Caritas Luxemburg gearbeitet. Ich wurde Projektmanager im Bereich Friedensförderung und Gewaltfreiheit.

Aber obwohl du dachtest, deine Zeit des Zivilen Friedensdienstes sei zu Ende, hat es dich dann doch wieder auf den Balkan verschlagen. Wie kam das?

Ja, aber nicht sofort. Während meiner Caritas-Erfahrung ist meine erste Tochter in Deutschland geboren worden und es war mir wichtig, dass ich in den ersten Jahren da war. 2008 kam dann wieder der Ruf von Projekten in Bosnien und Herzegowina, wieder von Pax Christi Aachen in Zusammenarbeit mit dem forumZFD. Sie suchten einen Projektmanager und da habe ich mich gemeldet.

Damals 2008, wieder in Bosnien und Herzegowina, zwar nicht in Sarajevo, sondern in der Republika Srpska, Derventa in der Nähe von Banja Luka, haben wir ein neues Projekt gestartet. Das Projekt in Derventa lief bis 2012, 2013 hat sich Pax Christi als Implementierungspartner zurückgezogen und das forumZFD hat das Projekt in Bosnien und Herzegowina in ihr eigenes Westbalkanprogramm in Sarajevo eingebaut. Und da sind wir heute noch immer.

Der entscheidende Ansatz bei der zivilen Friedensarbeit ist die Investition in Menschen. Menschen machen Frieden. Projekte sind natürlich wichtig, Strategien, Programme, Resultate, Wirkung. Aber man muss in die Menschen investieren, in die Fachkräfte, die lokalen Mitarbeitenden, jeden Tag, im Sinne von Personal, Motivation, Ermutigung, also auch Coaching und Stressbewältigung anbieten. Das ist sehr, sehr wichtig, damit die Menschen weiter Frieden machen können.

Und jetzt brichst du nochmal zu ganz neuen Ufern auf, in eine ganz andere Gegend der Welt, wo es wieder andere Konflikte zu bearbeiten gibt. Was steht jetzt bei dir an?

Ich bin jetzt 55 und ich war so lange in der Westbalkan-Region. Meine Frau ist aus Bosnien und wir dachten, vielleicht wäre es auch schön, einmal einen anderen Teil der Welt kennenzulernen. Aber ich werde nicht von Null anfangen - ich werde weiter Friedensarbeit machen. Versöhnungsarbeit, diesmal mit einer größeren Komponente von Menschenrechtsarbeit und Interethnic Communitybuilding. Der Kern meiner Arbeit bleibt, nur die Region, sogar der Kontinent wechselt. Mit einem anderen Partner aus dem Konsortium ZFD werden wir dann in Indonesien tätig sein.

Und wieso Indonesien?

Ich war noch nie aus Europa weg, nie in Afrika oder Asien, und nun ist es eben Asien geworden. Interkulturelle Erfahrungen sind uns sehr wichtig. Wir sind eine Multikultifamilie, meine Brüder sind Luxemburger und Italiener, ich habe Neffen, die sind halb Spanier, halb Italiener, halb Luxemburger. Ich bin Italiener, in Deutschland geboren und in Luxemburg aufgewachsen, habe eine Tochter in Deutschland, die, wie ihre Mutter, deutsch ist, eine bosnische Familie hier in Bosnien und Herzegowina. Das ist eine bunte Welt, in der wir uns wohlfühlen, diese gemischten Kulturen und die Neugier darauf, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzukommen und zusammenzuwachsen.


Das Interview führte Lea Heuser. Wir haben es gekürzt und leicht angepasst von Webseite des forumZFD übernommen. 
Foto: forumZFD

Weitere Informationen zur Arbeit in der Region Westbalkan finden Sie auf der Seite des forumZFD und in unserer Projektdatenbank.