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Mali: Frieden geht zivil

Ende Mai läuft das Bundestagsmandat zur Beteiligung der Bundeswehr an der UN-Stabilisierungsmission MINUSMA in Mali aus. Zwar ist die Verlängerung bereits beschlossene Sache. Wir nutzen den Anlass dennoch, um einen Blick ins Land zu werfen und um der Frage nachzugehen, was Mali braucht, um Frieden und Sicherheit zu erlangen.

Risse im Gefüge
Mali ist ein Binnenstaat in Westafrika mit rund 19 Millionen Menschen. Auf dem UN-Index der menschlichen Entwicklung von 2018 belegt Mali Platz 182 von 188 Ländern. Etwa die Hälfte der malischen Bevölkerung lebt in extremer Armut. Der Norden Malis reicht weit in die Sahara hinein. Hier verlaufen wichtige Handels-, aber auch Schmuggelrouten. Seit Jahrzehnten florieren organisierte Kriminalität mit Drogen, Waffen, Bodenschätzen und Menschenhandel. Die Nomaden im Norden wurden bereits während der Kolonialzeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Mit der Unabhängigkeit Malis 1960 hat sich ihre Position weiter verschlechtert. Seit 1961 ist es mehrfach zu Aufständen gekommen. Die Gräben innerhalb der Gesellschaft rissen mit der Zeit immer weiter auf.

Auf der Kippe: Die Krise von 2012
Anfang 2012 begann im Norden die vierte sogenannte „Tuareg-Rebellion“. Der Aufstand wurde durch Rebellengruppen vorangetrieben, die sich aus Tuareg und anderen Bevölkerungsgruppen speisten. Islamistische Extremisten stachelten die Aufständischen zusätzlich an. Viele der Kämpfer waren zuvor Söldner in der Armee des libyschen Diktators Gaddafi. Nachdem Gaddafi 2011 gestürzt worden war, kehrten sie schwer bewaffnet nach Mali zurück. Im März 2012 stürzte ein Militärputsch die malische Regierung in Bamako im Süden des Landes. Im Norden brach die Staatsmacht völlig zusammen. Miserable Ernten verschärften die Situation. Im Juni 2012 riefen Rebellen den Staat „Azawad“ aus. Etwa 500.000 Menschen flohen. Ende 2012 griff die Afrikanische Union ein. Anfang 2013 kam die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zur Hilfe. Die Rebellion wurde gewaltsam niedergeschlagen. Im Sommer 2013 begann die bis heute andauernde UN-Mission MINUSMA* mit rund 13.000 Blauhelmen, an der sich Deutschland mit bis zu 1.100 Soldatinnen und Soldaten beteiligt.

Friedensprozess im Ausnahmezustand
Im Juni 2015 konnte die malische Regierung ein Friedensabkommen mit der Rebellengruppe CMA** und der „Plateforme“, einem Zusammenschluss von Rebellengruppen, die für die Einheit des Landes eintreten, unterzeichnen. Doch seitdem wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Der Unmut bleibt – und auch die Gewalt flammt immer wieder auf. Zuletzt wurde im September 2017 ein Waffenstillstand vereinbart. Die Sicherheitslage bleibt aber angespannt. In jüngster Zeit kommt es vermehrt auch zu Anschlägen und gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Mitte und im Süden Malis. Die Blauhelme stehen dabei genauso unter Beschuss wie die Bevölkerung. Es ist offensichtlich, dass die Militäroperation allein Mali nicht befrieden kann. MINUSMA gilt als verlustreichste UN-Mission seit dem Koreakrieg (1950-53). Die Gleichung „mehr Militär = mehr Sicherheit“ wurde auf ein Neues widerlegt.

Wahlen im Schatten der Gewalt
Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im August 2018 wurde Ibrahim Boubacar Keïta in seinem Amt bestätigt. Erneut konnte er sich gegenüber Soumaïla Cissé behaupten. Doch die Wahlbeteiligung bei der Stichwahl lag bei unter 30 Prozent. Ein wesentlicher Grund hierfür ist die Angst vor Gewalt. Nach Angaben der Regierung blieben rund 500 Wahlbüros aus Sicherheitsgründen geschlossen. Im Norden wurde ein Wahlleiter erschossen. Der 73-jährige Keïta galt nach den Wahlen 2013 als Hoffnungsträger. Doch die Sicherheitslage hat sich unter seiner Präsidentschaft verschlechtert, trotz der seit 2013 bestehenden UN-Mission. So geht Keïta geschwächt in seine zweite Amtszeit. Die Opposition wirft der Regierung Wahlbetrug vor. Die Gräben zwischen Opposition und Regierung sind noch größer geworden.

Zerbrechliches Land voller Potentiale
Mali ist ein Land voller Potentiale: mit einem großen kulturellen Reichtum, einer jungen Bevölkerung, einer langen landwirtschaftlichen und Handelstradition, reichen Bodenschätzen und uralten Mechanismen der Konfliktbearbeitung. Doch das Land bleibt ein zerbrechliches Gebilde in künstlich gezogenen Grenzen aus der Kolonialzeit. Armut und Unzufriedenheit in Mali sind groß, besonders im Norden. Hier kommt es immer wieder zu instabilen Phasen und Gewalt. Die Region wurde lange Zeit vernachlässigt. Statt staatliche Dienste aufzubauen und in die Wirtschaft zu investieren, begünstigte die Regierung die lokalen Eliten. Besonders die nomadisch lebende Bevölkerung (Tuareg, Araber, Fulbe) fühlt sich benachteiligt.

Was kann Frieden bringen und Sicherheit geben?
„Mali würde heute ohne diese militärische Intervention wahrscheinlich nicht mehr existieren“, sagt Augustin Cissé***, Gründer und Generalsekretär der malischen Nichtregierungsorganisation ORFED****. „Doch wenn diese nicht konsequenter von Friedens- und Entwicklungsbemühungen begleitet wird, kommt Mali nicht aus der Krise heraus.“ Gemeinsam mit ORFED setzt sich der Zivile Friedensdienst im Norden Malis für Versöhnung und Deeskalation ein. Im Süden liegt der Fokus auf der Vermittlung in Konflikten rund um den Goldabbau. „Frieden kann nur erreicht werden, wenn an den strukturellen Ursachen der Konflikte in Mali und im Sahel gearbeitet wird: Armut, Hunger, Durst, Mangel an Infrastruktur, schlechte Verwaltung und unzureichende Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen", ist sich Augustin Cissé sicher. „Die militärische Option wird weder Frieden bringen noch Gewalt verhindern. Die Fokussierung auf das Militärische ist kontraproduktiv: Sie schränkt den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft ein. Sie bindet Ressourcen, die sinnvoller eingesetzt werden könnten. Sie mehrt den Unmut der Bevölkerung. Es sind niemals die Waffen, die die Probleme lösen. Die Lösung von Konflikten ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe und keine militärische. Wir müssen dort ansetzen, wo die Menschen mit ihren unterschiedlichen Interessen aufeinanderprallen.“


Ende Mai läuft das Bundestagsmandat zur Beteiligung deutscher Streitkräfte an der UN-Mission MINUSMA aus. Am 9. Mai 2019 hat das Parlament das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert. Somit können bis 31. Mai 2020 weiterhin bis zu 1.100 Soldatinnen und Soldaten entsendet werden. In namentlicher Abstimmung votierten 485 Abgeordnete dafür, 153 dagegen, 2 Personen enthielten sich. Das Engagement des Zivilen Friedensdienstes in Mali ist ebenfalls bis 2020 befristet. Derzeit ist eine von EIRENE entsendete Fachkraft vor Ort. Doch nicht nur Mali, die gesamte Region ist durch ein explosives Konfliktpotential gekennzeichnet. Die Konflikte und deren Ursachen machen vor den Ländergrenzen nicht Halt. Wer in Mali erfolgreiche Friedensarbeit machen möchte, muss länderübergreifend denken und ansetzen. Der Zivile Friedensdienst engagiert sich daher nicht nur in Mali, sondern auch in den Nachbarländern Burkina Faso, Guinea, Niger und Senegal sowie in den hier wiederum angrenzenden Ländern Benin, Guinea-Bissau, Liberia und Sierra Leone.

Mehr über die Kooperation zwischen ORFED und ZFD und ein Factsheet finden Sie in unserem Dossier „20 Jahre ZFD“.

 

* Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali (Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali)
** CMA: Coordination des mouvements de l'Azawad
***Augustin Cissé ist politischer Analyst, studierter Jurist und Soziologe sowie Gründer und Generalsekretär von ORFED.
****Die malische Nichtregierungsorganisation ORFED (
Organisation pour la Réflexion, la Formation et l’Education à la Démocratie et au Développement = Organisation für Reflexion, Bildung und Erziehung im Bereich Demokratie und Entwicklung) wurde 2004 gegründet. Sie hat sich als wichtiger Akteur der malischen Zivilgesellschaft für Frieden und Demokratie in Mali etabliert. Der ZFD arbeitet seit 2007 mit ORFED zusammen. Gemeinsam unterstützen sie lokale Friedensbündnisse in ganz Mali.

Foto: CRJ-Gao, grafisches Konzept: steinrücke + ich, Layout: kippconcept