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Kolumbien: Zentrum des Zuhörens
26.05.2025Aufmerksamkeit schenken und aktiv zuhören sind Gesten, die Menschen mit Gewalterfahrung bei der Bearbeitung ihrer Erlebnisse sehr unterstützen können. Im Centro Integral de Escucha (CIE) werden ehrenamtliche Zuhörer*innen ausgebildet, die niedrigschwellige psychosoziale Begleitung und Erinnerungsarbeit leisten.
Durch die offenen Flügeltüren des Begegnungsraums in der Sozialpastoral Apartadó im kolumbianischen Apartadó fällt das Licht der Nachmittagssonne an die grün getünchten Wände. Unter den großen Deckenventilatoren ist es angenehm kühl. Von draußen weht eine warme Brise herein. In der Nachbarschaft läuft Musik. Auf den Sitzgelegenheiten nahe dem großen Fenster haben Besucher*innen Platz genommen. Sie wirken entspannt, ohne Eile – sie sind gekommen, um zu verweilen.
„Uns ist es wichtig, dass die Menschen sich hier willkommen fühlen und die positive Atmosphäre sie ermutigt, sich zu öffnen und in den Austausch zu gehen", sagt Matthias Breuer, der seit drei Jahren als Fachkraft des ZFD-Trägers AGIAMONDO in der Sozialpastoral arbeitet. Er hat den Raum mit eingerichtet und gestaltet. Dieser ist Teil des „Centro Integral de Escucha (CIE)“, was so viel heißt wie Zentrum des Zuhörens. Es bietet Initiativen der psychosozialen Beratung und Erinnerungsarbeit an einem Ort, der „inneren Frieden und Dialog fördern kann“, wie Breuer es formuliert.

Centro Integral de Escucha
Die Idee des CIE entstand Ende der 2000er Jahre als Antwort auf die vielfachen Gewalterfahrungen, denen die Bevölkerung ausgesetzt war und bis heute ist. Man wollte eine Anlaufstelle für die Nöte und Sorgender vom Konflikt betroffenen Gemeindemitglieder schaffen. Zunächst gab es eine durch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen begleitete therapeutische, psychologische Einzelfallberatung. Seit Beginn der Zusammenarbeit mit dem ZFD 2021 rückte das Gruppen- und Gemeinwesen stärker in den Fokus – und das Ziel, die Angebote des Zentrums trotz begrenztem Budget zu erweitern.
„So entstand die Motivation, ein Netzwerk von Freiwilligen aufzubauen“, sagt Breuer, „ein Kollektiv von Menschen, die ein direktes Interesse an positiver Veränderung in ihren Gemeinden haben und die, weil sie vor Ort leben und dazugehören, langfristiges Engagement ermöglichen können und wollen.“ Seitdem widmet sich das CIE-Team, zu dem neben Breuer als Koordinator auch zwei Psychologinnen und zwei Praktikant*innen von der Uni gehören, verstärkt dem Finden, Ausbilden und Begleiten von ehrenamtlichen Zuhörer*innen, sogenannten „AVEs“ (Agentes Voluntarios de Escucha).
Wenig Schutz für Gewaltopfer
Erfahrungen und Schicksale, die Gehör brauchen, gibt es viele. In der Region im Nordwesten Kolumbiens tragen Paramilitärs, Guerrillas und staatliche Truppen seit Jahrzehnten gewaltsame Konflikte aus. Immer wieder wird die Zivilbevölkerung Opfer der Gewalt. Schutz durch öffentliche Maßnahmen oder Unterstützung gibt es kaum.
Die Bereitschaft aus der Bevölkerung, sich im AVEs-Projekt zu engagieren, war und ist daher groß. Da die intensive Auseinandersetzung mit den Schicksalen anderer auch Herausforderungen mit sich bringt, orientiert sich das CIE-Team an bestimmten Fähigkeiten und Charaktereigenschaften, die die Kandidat*innen mitbringen sollten. Ist eine Gruppe gefunden, bereiten sich ihre Mitglieder über zehn Monate gemeinsam auf die Freiwilligenarbeit des Zuhörens vor. Dazu leitet das CIE alle 14 Tage Workshops an, in denen unterschiedliche Themen – zum Beispiel Umgang mit Emotionen, Umgang mit Gewalterfahrungen, Selbstfürsorge – behandelt werden.
Unterstützung von Betroffenen für Betroffene
Mittlerweile gibt es 52 AVEs, die in insgesamt vier unterschiedlich großen Kollektiven in den Gemeinden Apartadó, Carepa, Turbo und Riosucio aktiv sind. Auch nach den Ausbildungsworkshops unterstützt das CIE sie weiterhin bei ihrem Engagement, indem es Gesprächsangebote, Workshops und Themenreihen mit organisiert, Erfahrungen auswertet, Selbstfürsorge begleitet und Räume wie den Begegnungsraum in Apartadó zur Verfügung stellt. „Wir kümmern uns auch darum, weiterführende Beratung von Institutionen, Organisationen oder professionellen Psycholog*innen in die Wege zu leiten, wenn es Unterstützungsbedarfe gibt, die die AVEs nicht leisten können“, so Breuer. Und es zählt zu den Aufgaben des CIE dafür zu sorgen, dass die AVEs selbst gesund bleiben.
Denn die Auseinandersetzung mit Gewalterfahrungen ist immer belastend. Und in den meisten Fällen haben die Freiwilligen das, was sie von anderen hören, selbst auch erlebt. Für viele ist genau das ihre Motivation. „Sie setzen sich ein, weil sie wissen, wie sich Verletzung und Ohnmacht anfühlen und sie so zu Heilung und positiver Veränderung beitragen können“, sagt Breuer. „Und weil sie wissen, dass es sonst niemand macht.“
Positive Effekte auf beiden Seiten
Doch auch, wenn es den AVEs oft viel abverlangt, diese Arbeit zu tun, beobachten die Kolleg*innen des CIE, wie viel sie selbst davon mitnehmen können. Im Projekt ergeben sich positive Effekte auf beiden Seiten: Die Menschen aus den Gemeinden werden motiviert, über Räume des Austauschs Gewalterfahrungen zu bearbeiten und neues Vertrauen in soziale Bindungen aufzubauen. Die AVEs wiederum erleben, wie sie gemeinsam wachsen können, durch Wissen und Interaktion und die aktive Teilnahme an Veränderung auf dem Weg zu einer friedlichen Gemeinschaft.
Text: Eva Maria Helm, Matthias Breuer
Fotos: Centro Integral de Escucha (CIE)
Dieses Text haben wir leicht gekürzt und angepasst von der Webseite des ZFD-Trägers AGIAMONDO übernommen.