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„Kein Schnitt mehr!“

Weibliche Genitalverstümmelung wird heute in Sierra Leone in großen Teilen der Gesellschaft noch immer als gängige Praxis weitgehend befürwortet. In dem westafrikanischen Land werden neun von zehn Mädchen beschnitten. Die meisten Betroffenen schweigen aus Scham und um nicht an den Schmerz erinnert zu werden. Die 2005 in Sierra Leone gegründete feministische Organisation WAVES engagiert sich gegen sexualisierte Gewalt, zu der weibliche Genitalverstümmelung, englisch „female genital mutilation“ (FGM), gehört. Laut UN umfasst FGM alle Verfahren, bei denen die weiblichen Genitalien aus nichtmedizinischen Gründen verändert oder verletzt werden. Sie wird international als Verletzung der Menschenrechte, der Gesundheit und der Unversehrtheit von Mädchen und Frauen anerkannt. Mädchen, die von einer Genitalverstümmelung betroffen sind, erleben kurzfristige Komplikationen wie starke Schmerzen, Schock, übermäßige Blutungen oder Infektionen. Aber FGM hat auch langfristige Folgen für die Gesundheit und die psychische Verfassung vieler Frauen und Mädchen.

Netzwerk gegen sexualisierte Gewalt

WAVES steht für „Women Against Violence and Exploitation in Society Sierra Leone”. Die Organisation will das Angebot an gesicherten Räumen für Mädchen in Schulen und Dorfgemeinschaften ausbauen. Dort sollen die Mädchen ihre Anliegen besprechen können. Sie werden über ihre Rechte informiert und ermutigt, sich zusammenzuschließen und ihre Forderungen nach außen zu tragen. Unterstützt wird WAVES dabei vom ZFD. Durch die Zusammenarbeit mit anderen Initiativen und Frauenrechtsorganisationen in ganz Sierra Leone ist ein starkes feministisches Netzwerk entstanden. Hannah Yambasu, Direktorin von WAVES, sagt: „Kein Schnitt mehr! Wir setzen uns ein für ein Sierra Leone ohne weibliche Genitalverstümmelung. Damit Frauen selbstbestimmt und ohne Gewalt leben können, braucht es Zukunftsperspektiven durch Bildung.“ WAVES engagiert sich besonders in entlegenen Dörfern im ländlichen Sierra Leone, denn für Frauen ist es hier oft schwer, Hilfe zu finden. Das Engagement gegen sexualisierte Gewalt kann nur erfolgreich sein, wenn es von den traditionellen Autoritäten akzeptiert und unterstützt wird. Deshalb baute die Organisation zu Entscheidungstragenden seit vielen Jahren gute Verbindungen auf.

Das Trauma überwinden

Stellina (Name geändert) lebt im Dorf Nengbema und ist die örtliche Kontaktperson für WAVES. Stellina berichtet: „Ich habe als junge Frau selbst sexualisierte Gewalt erlebt. Um junge Mädchen in meinem Dorf vor weiblicher Genitalverstümmelung zu schützen, musste ich erst mein eigenes Trauma überwinden. Mit der Hilfe von WAVES habe ich gelernt, offen über FGM zu sprechen und so das Wissen in unserem Dorf weiterzugeben". Stellina kann durch ihre Erfahrung betroffene Mädchen und Frauen sensibel beraten. Sie ist überzeugt, dass erfahrene Frauen ihr Wissen weiterhin an Mädchen in der Pubertät vermitteln sollen. Dieses Wissen schließt traditionelle Tänze, Lieder, medizinische Kenntnisse und Ratschläge für das Leben als Erwachsene ein. Weibliche Genitalverstümmelung soll nicht mehr dazugehören. Deshalb geht WAVES auch auf praktizierende und ehemalige Beschneiderinnen zu und unterstützt Aussteigerinnen beim Aufbau einer neuen Existenz. WAVES spricht darüber hinaus auch gezielt Männer und Jungen an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter informieren in Workshops über die Gefahren von FGM, über Frauenrechte sowie sexualisierte Gewalt. So regen sie Jungen und Männer an, ihre Vorstellungen von Geschlechterrollen zu hinterfragen.


Der Text stammt von Hannah Kentouche, ZFD-Fachkraft und Beraterin für Gender und Advocacy in Sierra Leone, und Ursula Radermacher (AGIAMONDO).

Das Bild zeigt Laura Lahai (l.), Frauenrechtsaktivistin und Projektmanagerin von WAVES, bei einem Workshop zu FGM in der Gemeinde Nengbema im südlichen Sierra Leone. Foto: Hannah Kentouche

Eine Langfassung dieses Beitrags finden Sie auf der Website von AGIAMONDO.