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Kambodscha: Jugendliche lernen aus der Vergangenheit

An dem einfachen Zaun, hinter dem große Palmen und ein paar marode Gebäude zu sehen sind, lässt sich kaum erkennen, dass dieser Ort einst eine verhängnisvolle Rolle spielte. Erst als eine der Museumsführerinnen anfängt zu erzählen, wie fünf ihrer Familienangehörigen damals in diesem Gefängnis getötet wurden, beginnt auch die Schulgruppe das Gelände im Detail wahrzunehmen. Am Tag zuvor reisten die rund 30 Jugendlichen mit dem Bus aus der fast 300 Kilometer entfernten Stadt Battambang an, um sich hier in Phnom Penh das Genozid-Museum anzuschauen.

Gleich nachdem eine Person hierhergebracht wurde, war ein Fotograf damit beauftragt, die üblichen Frontal- und Profilbilder aufzunehmen, die heute mehrere Ausstellungsräume füllen. Einige Wochen oder Monate später, so erzählt die Museumsführerin, nahm der Fotograf dann die Pendant-Bilder auf, nämlich die von den Leichen der Gefangenen. Schätzungen zufolge waren fast 20.000 Menschen zwischen 1976 und 1979 in Tuol Sleng inhaftiert. Fast alle Gefangenen starben entweder durch Folter oder sie wurden auf den sogenannten Todesfeldern vor den Toren Phnom Penhs hingerichtet. Nur ein knappes Dutzend überlebte.

Schreckensbilanz der Roten Khmer

In dieser Schreckensbilanz drückt sich die Brutalität aus, mit der die Roten Khmer in den 1970er Jahren über Kambodscha herrschten. Nach der Machtübernahme 1975 versuchten Pol Pot und sein Umfeld das Land mit Gewalt in eine vollständige Agrarwirtschaft umzuwandeln. Jede Form von Bildung und Technologie galt als politisch verdächtig. Bücher wurden verbrannt, Geld und Religionsausübung verboten, und beinahe die gesamte intellektuelle Elite des Landes wurde ermordet. Unter den Roten Khmer starb zwischen 1975 und 1979 etwa ein Viertel der Bevölkerung durch Zwangsarbeit, Hungersnöte, Folter und Mord.

Die Roten Khmer schürten Rassismus und Feindseligkeiten gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten. Mit Gewalt versuchte das Regime, eine Rückkehr zu einer vermeintlich ursprünglichen, „reinkambodschanischen“ Gesellschaft zu erzwingen. Der Name der Roten Khmer leitet sich von der größten Bevölkerungsgruppe, den Khmer, ab. Angehörige anderer ethnischer Gruppen, etwa der vietnamesischen Minderheit, der indigenen muslimischen Cham oder der Bergbevölkerung wurden systematisch vernichtet. Auch Oppositionelle und politisch Andersdenkende wurden vom Regime verfolgt und in Gefängnissen wie Tuol Sleng gefoltert.

Sogar Kinder waren unter den Gefangenen

Die meisten Menschen, die nach Tuol Sleng gebracht wurden, waren jung, zum Teil sehr jung. Minderjährige oder sogar Kinder festzunehmen, entweder allein oder mit ihren ganzen Familien, war gängige Praxis. Und auch unter den Fotos der Täterinnen und Täter, die in einem anderen Ausstellungsraum gezeigt werden, entdecken die Schülerinnen und Schüler aus Battambang unter den charakteristischen Mützen der Roten Khmer viele Gesichter von 17-, 18- oder 20-Jährigen. „Wie war es denn überhaupt möglich, dass damals kambodschanische Teenager wie wir oder ein bisschen älter als wir Tausende ihrer eigenen Landsleute folterten und umbrachten?“, fragt Seriphoat Sokhun, ein 17-Jähriger aus Battambang, der auf das Net-Yang-Gymnasium geht. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass der junge Mann sich das ehemalige Gefängnis anschaut. Auch die meisten seiner Mitschülerinnen und Mitschüler sind vorher noch nie hier gewesen.

Der Museumsbesuch ist Teil des Friedensbildungsprojekts „Junge Generation“, welches der ZFD-Träger forumZFD zusammen mit zwei Gymnasien sowie mit dem Bildungsamt der Provinz Battambang seit 2021 umsetzt. Rund 30 Schülerinnen und Schüler bekommen so die Chance, sich direkt mit diesem dunklen Kapitel der jüngeren kambodschanischen Geschichte auseinanderzusetzen. Obwohl der Lehrplan in Kambodscha für den Geschichtsunterricht mehrere Lektionen über die Diktatur der Roten Khmer vorsieht, fehlt es meistens an Ressourcen, um für jede Schule im Land einen solchen Hauptstadtbesuch zu organisieren. Projektmanagerin Carla Groß sagt: „Gerade für die junge Generation, die um die Jahrtausendwende und damit nach dem Ende des Bürgerkriegs geboren wurde, wäre eine systematischere Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse wünschenswert. Denn zu diesem Thema gibt es noch immer kaum Austausch mit der älteren Generation. Nur durch eine solche Aufarbeitung kann also eine kritische Reflexion stattfinden und nur so können in Zukunft friedliche Lösungen für diverse Konflikte gefunden werden.“

ZFD in Kambodscha

Der ZFD ist unter anderem in Phnom Penh und Battambang aktiv. Hier konzentriert sich das Team darauf, Dialogräume zu schaffen, um Begegnungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu ermöglichen und so Vorurteile abzubauen. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die Verbreitung von Methoden zur zivilen Konfliktbearbeitung. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt zudem den jungen Kambodschanerinnen und Kambodschanern. Zusammen mit lokalen Partnerorganisationen unterstützt der ZFD die Zivilgesellschaft dabei, die Vergangenheit aufzuarbeiten und friedliche Ansätze für die Lösung gegenwärtiger Konflikte zu identifizieren.


Text und Foto: Silviu Mihai

Diesen Beitrag lesen Sie in voller Länge im Magazin 3/2022 und im Blog des forumZFD. Für unsere Website wurde er leicht bearbeitet.

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