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Corona-Pandemie: Die Verwundbarsten stärken

Die indigenen Gruppen auf Philippinens von Konflikten geprägter Inselgruppe Mindanao werden durch COVID-19 noch weiter ins Abseits gedrängt, als sie es ohnehin schon sind. Die ZFD-Partnerorganisation „The Initiatives for International Dialogue“ (IID) setzt sich mit Nachdruck für ihre Rechte ein – derzeit vor allem im virtuellen Raum. Darüber hinaus leistet IID Nothilfe für die am ärgsten Betroffenen, die Binnenvertriebenen.

„Wir sind Opfer von Kriegen und Opfer von Frieden“, ist ein Satz, den die ZFD-Fachkraft Karin Widmer immer wieder hört. Die Schweizerin arbeitet seit einigen Jahren bei der philippinischen Nichtregierungsorganisation IID. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen setzt sich Widmer für die Rechte der indigenen Bevölkerung auf Mindanao ein. Von den gewaltsamen Konflikten, die seit Jahrzehnten die Inselgruppe destabilisieren, sind die indigenen Gruppen schwer, vielleicht sogar am schwersten betroffen. An den Friedensprozessen der vergangenen Jahre waren sie jedoch kaum beteiligt. Diskriminierung, Ausgrenzung und Menschenrechtsverletzungen gehören noch immer zum Alltag der meisten Indigenen. Auch Vertreibungen sind weiterhin an der Tagesordnung – aufgrund von Naturkatastrophen und wirtschaftlicher Instabilität, aber auch immer wieder aufgrund von Gewalt. Daran hat auch COVID-19 nichts geändert, im Gegenteil.

Menschen, die ohnehin verletzlich sind, sind durch die Corona-Krise noch verwundbarer

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die Lage der Binnenvertriebenen dramatisch verschlechtert. Nach Angaben des UNHCR gibt es derzeit insgesamt über 350.000 Binnenvertriebene auf Mindanao (Stand: 30. Juni 2020), darunter viele Indigene. In den meist provisorischen Behausungen auf beengtem Raum ist kein wirksamer Schutz vor einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 möglich. Auch die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern ist eingebrochen.

Unter dem Hashtag #bakwitlivesmatter macht das Team der IID in den sozialen Medien auf die schwierige Lage der Binnenvertriebenen aufmerksam. „Bakwit“ ist der in der Region umgangssprachliche Begriff für gewaltsam Vertriebene – abgeleitet aus dem Englischen „evacuees“ (dt. „Evakuierte“). Mit einer Reihe von Online-Seminaren zielt das IID-Team darauf ab, das öffentliche Bewusstsein für die Notlage der Binnenvertriebenen zu schärfen und entsprechende Unterstützung auf den Weg zu bringen. Darüber hinaus koordinieren die Mitarbeitenden der IID gemeinsam mit ihren regionalen Partnerinnen und Partnern Nothilfe in Form von Lebensmitteln, Saatgut und Hygieneartikeln in Gemeinden mit hoher Zahl an indigenen Binnenvertriebenen. Dies ist nicht zuletzt dank der Unterstützung durch internationale Zuwendungen möglich. 

COVID-19 darf nicht dazu führen, dass die Anliegen der Indigenen auf der Strecke bleiben

Neben den ad hoc auf die Beine gestellten Aktionen geht das Team der IID auch der Frage nach, wie die Arbeit kurz-, mittel- und langfristig an die neuen Herausforderungen angepasst werden muss. Dadurch, dass die COVID-19-Pandemie derart in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt ist, besteht die Gefahr, dass die Anliegen der indigenen Gruppen weiter ins Abseits gedrängt werden. „Während die Regierung mit der Bekämpfung der Pandemie beschäftigt ist,“ sagt Widmer, „besteht die Bedrohung aufgrund der bewaffneten Konflikte in einigen Gebieten weiter, in manchen verschärft sie sich sogar. Neben den gewaltsamen Landkonflikten, die auf dem Land der Indigenen ausgetragen werden und denen sie zum Opfer fallen, sind sie durch die einschränkenden Maßnahmen in der Ausübung ihrer kulturellen und rituellen Praktiken stark betroffen.“ Auch der vermehrte Einsatz von Online-Aktivitäten bewirkt das Gegenteil der eigentlich gewünschten Inklusion. Für viele Indigene sind Zugang zu und Kenntnisse über digitale Formate nicht gewährleistet.

In Kooperation mit ZFD-Fachkraft Karin Widmer haben die Mitarbeitenden der IID daher eine Umfrage gestartet, wie es um die akuten Bedürfnisse der lokalen und regionalen Partnerorganisationen im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie steht, aber auch wie IID und Partner die Strategie ihrer Arbeit neu ausrichten müssen, damit die eigentlichen Ziele nicht auf der Strecke bleiben. Die einhellige Meinung ist, dass die Zivilgesellschaft ihr Engagement für die Rechte der Indigenen und deren Berücksichtigung in den Friedensprozessen unbedingt aufrechterhalten muss – auch wenn die Pandemie derzeit viele Ressourcen für kurzfristige Hilfsmaßnahmen einfordert.

ZFD muss seinen lokalen Partnerinnen und Partnern in Zeiten von Corona weiter beistehen

Dabei ist auch die Unterstützung durch den Zivilen Friedensdienst bedeutsamer denn je, wie Karin Widmer bekräftigt: „Es ist wichtig, dass der ZFD in dieser Situation den lokalen Partnerinnen und Partnern und den Zielgruppen weiter beisteht und dabei langfristig ausgerichtet, inklusiv, partner- und wirkungsorientiert bleibt. Der ZFD sollte dabei seinem Mandat treu bleiben, gleichzeitig seine Unterstützungsinstrumente so weit möglich und sinnvoll dynamisch anpassen, um dem geänderten Friedensbedarf in dieser Krise gerecht zu werden.“  

Dass sich die Mitarbeitenden der IID einmal mehr als krisenresistent erweisen, zeigen die zahlreichen Aktivitäten, die sie neben der so wichtigen Nothilfe auf die Beine stellen. In den letzten Wochen fanden mehrere Online- und Offline-Workshops zu den trotz Corona weiterhin dringlichen Themen Übergangsjustiz; Vertreibung, Extremismus, Landfragen, Menschenrechte, politische Inklusion und Partizipation statt. Auch der Dialog mit Politik und Zivilgesellschaft wird fortgeführt. So fand Ende Juli trotz aller Corona-bedingten Einschränkungen in Cotabato City und im virtuellen Raum die Konferenz „Bayanihang Bangsamoro: Civil Society Solidarity Conference in the BARMM“ zur Rolle der Zivilgesellschaft bei der Ausgestaltung der neu formierten Autonomen Region Bangsamoro statt. Doch der Support durch internationale Partner wie den Zivilen Friedensdienst ist und bleibt eine wichtige Stütze, damit das Team der IID seine Arbeit auch unter den zusätzlichen Herausforderungen mit gleicher Stärke fortsetzen kann.


Zum Hintergrund

Die Inselgruppe Mindanao im Süden der Philippinen wird seit Jahrzehnten aufgrund von verschiedenen, oft gewaltsam ausgetragenen Konflikten destabilisiert. Offiziell beendete 2014 ein Friedensvertrag zwischen Regierung und der größten lokalen Rebellengruppe den bewaffneten Konflikt. Dennoch kommt es weiterhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Friedensprozesse geraten durch das Aufflammen der Gewalt immer wieder ins Wanken. Auch fühlen sich nicht alle Bevölkerungsgruppen ausreichend berücksichtigt oder in der Lage, sich angemessen einzubringen. Darüber hinaus bestehen gravierende Konfliktursachen fort: die ungleiche Verteilung von Land und natürlichen Ressourcen, die Ausgrenzung großer, insbesondere muslimischer und indigener Bevölkerungsgruppen, sowie die weitverbreitete Armut.

Die indigenen Bevölkerungsgruppen waren und sind von den gewaltsamen Konflikten mit am meisten betroffen, insbesondere durch Vertreibungen, Landrechts- und Menschenrechtsverletzungen. Bei den Friedensverhandlungen wurden sie jedoch bislang am wenigsten berücksichtigt. Offiziell ist ihr Recht auf Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Mitbestimmung verankert. In der Realität sind sie davon aber weit entfernt. Daher empfinden sich viele auch als Opfer der Friedensverhandlungen.

Wie der ZFD die indigene Bevölkerung auf Mindanao stärkt

Der Zivile Friedensdienst unterstützt auf Mindanao mehrere Organisationen, die sich dafür einsetzen, dass die Interessen und Rechte der indigenen Gruppen gewährt werden. Neben „The Initiatives for International Dialogue“ (IID) sind das insbesondere das „Mindanao Peoples’ Peace Movement“ (MPPM) und die „National Commission on Indigenous Peoples“ (NCIP).

Die Zusammenarbeit hat unter anderem dazu geführt, dass sich 2017 das eigenständige indigene Gremium „Lumad Husay Mindanaw“ (LHM) formiert hat, um bei den Friedensprozessen als unabhängige und gleichwertige Partei auftreten zu können. Denn die Indigenen auf Mindanao sind keine homogene Gruppe. Insgesamt gibt es 33 indigene Gruppen, die nicht zum Islam konvertiert sind – die sogenannten Lumad, ein Begriff aus der Sprache Bisaya, welche die Lumad selbstbestimmt als Sammelbezeichnung für sich anwenden, sowie 13 zum Islam konvertierte Gruppen. Wenn sich die Lumad zusammentun und mit einer Stimme sprechen, steigen ihre Chancen, tatsächlich Gehör zu finden.


Mehr erfahren...

Mehr über das indigene Gremium LHM und die Unterstützung des ZFD finden Sie im BEITRAG „Inklusiv ist das Ziel von Karin Widmer, der im April 2019 auf der ZFD-Webseite erschienen ist. Ein kurzes VIDEO (2'14'') gibt ebenfalls einen guten Einblick in die Arbeit und Bedeutung des Gremiums.

Mehr über die Arbeit des Zivilen Friedensdienstes auf Mindanao erfahren Sie in der achten Folge der PODCAST-Reihe „Jetzt mal ganz friedlich“ des ZFD-Trägers GIZ. Die ZFD-Fachkräfte Karin Widmer und Patrick Stutz erzählen von Dialogplattformen als Ansatz in der Friedensarbeit und von ihrer persönlichen Motivation dabei mitzuwirken.

Am 31. August 2020, 18 Uhr findet außerdem ein ONLINE-DIALOG des ZFD-Trägers forumZFD mit dem Titel „Anruf aus Davao: Lockdown für Grundrechte auf den Philippinen?“ mit den ZFD-Fachkräften Lena Muhs und Timo Leimeister über die Lage auf den Philippinen statt. Dabei geht es unter anderem um die Frage, welche Auswirkungen das umstrittene „Anti-Terrorismus-Gesetz“, das im Juli 2020 in Kraft getreten ist, auf die Friedensarbeit vor Ort haben könnte. Hier geht es zur Anmeldung.


Fotos und Abbildungen: The Initiatives for International Dialogue