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Corona-Pandemie: Bolivien

Bolivien befindet sich seit der Präsidentschafts- und Parlamentswahl im Oktober 2019 in einer kritischen Übergangsphase. Wegen Unregelmäßigkeiten kam es zu anhaltenden Protesten, in deren Folge Staatspräsident Evo Morales zurücktreten musste. Die für den 3. Mai 2020 vorgesehenen Neuwahlen wurden aufgrund der Corona-Pandemie auf ungewisse Zeit verschoben. Seit 22. März 2020 gilt eine landesweite Ausgangssperre. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Festnahme und eine hohe Geldstrafe. Aber auch wer sich allzu kritisch gegen die beschlossenen Maßnahmen äußert, könnte Gefahr laufen, mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren belangt zu werden – so zumindest die Einschätzung von Human Rights Watch.

Die ZFD-Partnerorganisation FOCAPACI lässt sich davon nicht einschüchtern. Gemeinsam mit 17 weiteren Nichtregierungsorganisationen hat sie die Übergangsregierung in einem offenen Brief aufgefordert, die verwundbarsten Gruppen der Gesellschaft wie etwa die indigene Bevölkerung, Kinder und Jugendliche, von Gewalt betroffene Frauen und Menschen mit Behinderungen während der andauernden Ausgangssperre besser zu unterstützen. Darüber hinaus fordern sie einen Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft, der unter anderem gewährleisten soll, dass die Menschenrechte auch während der Corona-Krise gewahrt bleiben.

Das „Centro de Formación y Capacitación para Ia Participación Ciudadana“, wie FOCAPACI mit vollem Namen heißt (auf Deutsch in etwa „Ausbildungszentrum für Bürgerbeteiligung“), ist in Boliviens zweitgrößter Stadt El Alto angesiedelt. In der rasant wachsenden Millionenstadt – vor den Toren des Regierungssitzes La Paz – arbeiten rund 70 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner im informellen Sektor. Die Lebens- und Wohnsituation ist in vielen Stadtvierteln kritisch. Die Ausgangssperre trifft die meisten Menschen in El Alto daher mit voller Wucht. FOCAPACI hat früh auf die Herausforderungen der Corona-Pandemie reagiert und Ende März eine erste Handreichung mit wesentlichen Infos veröffentlicht. Seitdem stellen die Mitarbeitenden von FOCAPACI kontinuierlich Informationen über die organisationseigenen Social-Media-Kanäle bereit, insbesondere via Facebook und Youtube. So werden beispielsweise kurze Aufklärungsfilme produziert, die auf Spanisch und Aymara, der in der Projektregion am häufigsten gesprochenen indigenen Sprache, verfügbar sind.

Doch das Medium der Stunde ist das Radio, da ein Internetanschluss für viele nicht erschwinglich ist. FOCAPACI betreibt seit Februar eine wöchentliche Radiosendung, die sogenannte „Nachbarschaftsversammlung“ („Asamblea Vecinal“). Derzeit ist das vorherrschende Thema die Corona-Pandemie. „Das Radioprogramm möchte einerseits darüber informieren, wie man sich vor COVID-19 schützen kann, und andererseits reflektieren, welche Auswirkungen die Quarantäne auf das Leben der Menschen hat“, erläutert Geschäftsführer Rolando Lazarte die Ziele der Sendung. „Dazu werden auch Stimmen aus der Nachbarschaft gehört, darunter Künstler, Psychologen und Umweltschützer, die neben den Schwierigkeiten auch die positiven Aspekte der gegenwärtigen Situation aufzeigen, wie beispielsweise die nachbarschaftliche Solidarität und die Bemühungen zur Unterstützung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen.“

ZFD-Fachkraft Esther Henning, die FOCAPACI seit Oktober 2019 unterstützt, hat sich bewusst dafür entschieden, auch während dieser schwierigen Zeit in Bolivien zu bleiben: „Um in Bolivien anzukommen und das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, erscheint es mir wichtig, auch schwierige Momente an der Seite der Partner auszuhalten. Durch das Angst- und Konfliktpotenzial der Corona-Pandemie verändern sich das Umfeld, in dem wir Friedensarbeit leisten, und die Prioritäten unserer Zielgruppen. Um darauf in den kommenden Wochen reagieren zu können, erscheint es mir angebracht, die Situation aus nächster Nähe zu beobachten.“ Neben ihrer Arbeit im Zivilen Friedensdienst engagiert sich die diplomierte Regionalwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Lateinamerika gegenwärtig auch ehrenamtlich, um die am stärksten betroffen Familien unbürokratisch mit Lebensmitteln zu versorgen.

Die FOCAPACI-Radiosendung „Asamblea Vecinal“ („Nachbarschaftsversammlung“) wird donnerstags zwischen 15:30 und 17:00 Uhr ausgestrahlt und kann auch online verfolgt werden (ab 21:30 Uhr deutscher Zeit).

Abbildungen + Fotos: FOCAPACI; Foto La Paz: Esther Henning