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Bolivien: Studieren, schlichten, schützen

Konflikte um Ressourcen, insbesondere Wasser und Land, sind in Bolivien an der Tagesordnung. Sie werden durch die Ausweitung industrieller Landwirtschaft, den Abbau von Bodenschätzen und Infrastrukturmaßnahmen angeheizt. Davon betroffen sind auch einzigartige Ökosysteme wie der tropische Trockenwald Chiquitano, der an den Amazonas-Regenwald grenzt. Die indigenen Bevölkerungsgruppen werden auf ihrem angestammten Land immer weiter zurückgedrängt. Der Klimawandel verschärft die Problematik zusätzlich, denn die Gefahr großflächiger Waldbrände steigt. Um auf diese Herausforderungen reagieren zu können, gibt es an der Universität Núr in Santa Cruz seit 2020 einen postgradualen Diplomstudiengang zur Bearbeitung von Umwelt- und Ressourcenkonflikten. Das Studienangebot ist ein Ergebnis der seit März 2018 bestehenden Kooperation zwischen ZFD und Uni Núr. Im Interview erläutern William Shoaie Baker, Rektor der Universidad Núr, und die Soziologin Mirna Inturias, Dozentin an der Uni und zugleich lokale ZFD-Fachkraft, warum es den Studiengang braucht, um Frieden, Gerechtigkeit und Klimaschutz zu fördern.

Seit 2020 bieten Sie an der Universität Núr den Postgraduierten-Studiengang „Transformation sozio-ökologischer Konflikte“ an. Was hat Sie dazu bewogen?

William Shoaie Baker: Die gesellschaftlichen und ökologischen Konflikte, die sich in Bolivien beim Thema Land und Landnutzung ergeben, stellen eine große Herausforderung auf dem Weg zu einer friedlichen, inklusiven Gesellschaft dar. Bereits in den 1990er-Jahren hat die Universität daher eine Fakultät für Frieden und Integration geschaffen. Diese Fakultät wiederum hat das erste Zentrum für kommunale Schlichtung in Bolivien ins Leben gerufen, das in den ländlichen Gebieten starke Arbeit geleistet hat. Dann haben wir gemeinsam mit verschiedenen Organisationen mit der Entwicklung von Postgraduiertenprogrammen begonnen. Der Postgraduierten-Studiengang „Transformation sozio-ökologischer Konflikte“ macht sich die Erkenntnisse der früheren Programme sowie eine Reihe an Erfahrungen zunutze, und zwar nicht nur die der Universidad Núr, sondern auch die des ZFD und der anderen beteiligten Organisationen.

Mirna Inturias: Der Studiengang ist das erste Postgraduiertenprogramm in Bolivien, das sich schwerpunktmäßig der Transformation ökologischer Konflikte widmet. Das Ziel ist, Umweltkonflikte aus verschiedenen Blickwinkeln unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit in Lateinamerika zu analysieren, um auf die strukturellen Anforderungen reagieren zu können. Die gesellschaftlichen und ökologischen Konflikte in der Region sind in der Regel mit ungleichen Machtverhältnissen, extraktivistischen Entwicklunsgmodellen [Anm. d. Red.: Abbau, Nutzung und Export natürlicher Ressourcen] und anderen Aspekten verknüpft, wodurch sich ihre Analyse und Bearbeitung äußerst komplex gestaltet. Der Studiengang trägt diesen Anforderungen Rechnung. Dabei nutzen wir die Erfahrung aus dem ZFD und zugleich die Erfahrung der regionalen Forschung. Die Ergebnisse unserer Zusammenarbeit sind deshalb so bedeutsam, weil wir Akteurinnen und Akteure aus Forschung und Praxis zusammenbringen.

Wie unterstützt der ZFD Sie dabei?

William Shoaie Baker: Die Universidad Núr strebt danach, mit all ihren Aktivitäten zu einer gerechten, friedlichen und harmonischen Gesellschaft beizutragen. Dies passt sehr genau zu dem, was der ZFD für die Förderung von Frieden und Gerechtigkeit leistet. Wir glauben, dass ein Schlüssel zu Frieden und Gerechtigkeit in der Arbeit mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen liegt – in unserem Fall mit der indigenen Bevölkerung, da sie besonders von Umwelt- und Territorialproblemen betroffen ist. Speziell an diesem Punkt arbeiten die Universidad Núr und der ZFD zusammen, um Prozesse aufzubauen, die die gesellschaftliche und ökologische Gerechtigkeit fördern. Der Studiengang „Transformation sozio-ökologischer Konflikte“ ist das zentrale Element der Unterstützung durch den ZFD, da eine Fachkraft bei der Entwicklung mitgearbeitet hat. Auf der einen Seite ist es die fachliche und menschliche Unterstützung und auf der anderen Seite die Vernetzung und die Erfahrung im Zivilen Friedensdienst, die uns die Umsetzung dieses so wesentlichen Studiengangs ermöglicht hat.

In welchem Maße tragen die Folgen des Klimawandels zu einer Veränderung der Konfliktsituation bei?

Mirna Inturias: Wir leben in Bolivien in einer tropischen Zone, die einzigartige Ökosysteme beherbergt, darunter den Chiquitano-Trockenwald. Die Auswirkungen des Klimawandels haben bereits Einfluss auf die Waldbrände in der Region. Diese werden zwar größtenteils durch Brandrodung verursacht, doch der Einfluss des Klimawandels wird im Temperaturanstieg und an den Winden spürbar. Diese Veränderungen führen dazu, dass sich die Waldbrände unkontrollierbarer ausbreiten und diese fragilen Ökosysteme ihnen leichter zum Opfer fallen können.

Vor welchen Problemen stehen die indigenen Gemeinschaften im bolivianischen Tiefland und welche Rolle spielen sie im Kampf gegen die Klimakrise?

Mirna Inturias: Es gibt einige indigene Bevölkerungsgruppen, die viel zum Erhalt der heute noch bestehenden bolivianischen Wälder beitragen. In den von ihnen bewohnten Gebieten ist die Entwaldung geringer, es wird mehr Kohlenstoff gespeichert und weniger emittiert, die Biodiversität bleibt erhalten und die Ressourcen werden nachhaltiger und gerechter bewirtschaftet. Doch das Interesse an ihrem Land ist groß. Landwirtschaft und Infrastrukturprojekte beanspruchen immer mehr Flächen für sich, zum Beispiel für Sojaplantagen zur Biokraftstoffproduktion und für Viehweiden für den Rindfleischexport. Dadurch wird der positive Einfluss der indigenen Bevölkerung bei der Begrenzung des Klimawandels immer weiter eingeschränkt. Der Studiengang „Transformation sozio-ökologischer Konflikte“ setzt vor diesem Hintergrund einen Schwerpunkt auf die Arbeit mit der indigenen Bevölkerung. Viele der Studierenden kommen bei ihrer praktischen Arbeit mit indigenen Bevölkerungsgruppen in Berührung und es nehmen auch indigene Führungspersönlichkeiten am Studium teil.


Das Foto oben stammt von Mary Isabel Garcia Parapaino aus dem Reportagenbuch „FotoVoz: Reconexión Monkoxɨ“ mit spannenden Portraits von Menschen, die im Trockenwald Chiquitano leben. Es ist im Rahmen der Kooperation zwischen der Universidad Núr und dem ZFD entstanden ist.

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Dieser Beitrag ist in voller Länge im Hub „Frieden verbessert das Klima“ des Zivilen Friedensdienstes erschienen. Dort zeigen Projektbeispiele und Fachbeiträge, welche Rolle Ziviler Konfliktbearbeitung bei der Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen zukommt.

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