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Nepal: Frauen für Menschenrechte

Im kommenden Jahr jährt sich die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen zum 75. Mal. Die UN starten deshalb unter dem Motto Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit für alle eine einjährige Kampagne zur Förderung und Anerkennung der Menschenrechte. Fast alle Staaten der Erde haben die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte angenommen. Dennoch werden Menschenrechte immer wieder missachtet und es kommt in vielen Ländern zu schwerwiegenden Verstößen. „Die Welt steht vor neuen und andauernden Herausforderungen – Pandemien, Konflikte, explodierende Ungleichheiten, ein moralisch bankrottes globales Finanzsystem, Rassismus, Klimawandel“, schreiben die Vereinten Nationen anlässlich des morgigen Gedenktags. „Die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankerten Werte und Rechte bieten Orientierungshilfen für unser gemeinsames Handeln, das niemanden zurücklässt.“

Der ZFD setzt sich gemeinsam mit seinen Partnern in vielen Regionen der Erde für die Wahrung der Menschenrechte und die friedliche Bearbeitung von Konflikten ein. Zum Beispiel in Nepal, wo Mitglieder der Partnerorganisation Women for Human Rights (WHR) erfolgreich die Rechte von Frauen einfordern.

Wurzeln des gewaltsamen Konflikts in Nepal

Der gewaltsame Konflikt zwischen der Regierung Nepals und der Kommunistischen Partei mit ihrem militanten Arm, der maoistischen Volksarmee, dauerte von 1996 bis 2006. Die Zeit war gekennzeichnet von zahlreichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Mehr als 17.000 Menschen starben. Eine gewaltfreie Demokratiebewegung erwirkte im Jahr 2006 die Abdankung des Königs. Damit war auch der Weg frei für ein Friedensabkommen, mit dessen Unterzeichnung der gewaltsame Konflikt am 21. November 2006 endete. Eine der wichtigsten Errungenschaften war die Verabschiedung der Verfassung im Jahr 2015, welche „die Diskriminierung in Bezug auf Klasse, Kaste, Landesregion, Sprache, Religion und Geschlecht beendet”. Doch Veränderungen brauchen Zeit, ebenso die Aufarbeitung der gewaltvollen Geschichte

„Eines nachts klopften Männer an unsere Tür“, erzählt Kanjan Maya Tamang. „Sie sperrten mich in die Küche und zerrten meinen Mann vor das Haus. Dort schlugen sie ihn mit Stöcken auf die Kniekehlen und den Rücken. Wir lebten damals von dem, was mein Mann im landwirtschaftlichen Tagelohn verdiente und brauten Reisbier, um das Einkommen aufzubessern. Mein Mann gehörte der Kongresspartei an und war damit Zielscheibe für die Rebellen.“ Eineinhalb Jahre später stirbt ihr Mann an den Folgen seiner Verletzungen. Kanjan Maya steht ohne das Einkommen ihres Mannes mit ihren beiden Töchtern alleine da. Eine gerichtliche Aufarbeitung oder irgendeine Form der Anerkennung des Geschehenen gab es nicht.

Im Einsatz für Menschenrechte: Women for Human Rights

Women for Human Rights (WHR), eine Partnerorganisation des ZFD-Trägers KURVE Wustrow, engagiert sich für Frauen in Nepal, die vom gewaltsamen Konflikt der Jahre 1996 bis 2006 betroffen sind. Die Frauen schließen sich zu regionalen Gruppen zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Traditionsbedingt sind Witwen und alleinerziehende Mütter in Nepal besonders stark benachteiligt. Ihr Lebensraum ist auf Haus und Hof begrenzt, die Erbschaft wird ihnen verweigert, die Vorstellung weit verbreitet, dass sie unbehelligt sexuell belästigt werden dürfen. Bei ihren Treffen erhalten sie erstmals Raum, um über ihre traumatischen Gewalterfahrungen während des Bürgerkriegs zu sprechen. Seit 2016 hat WHR schon 2.000 Frauen in dem Projekt begleitet.

Den Gruppen gehören Frauen an, deren Männer durch die Gewalt der maoistischen Volksarmee gestorben sind, ebenso wie Frauen, die ihre Männer durch die staatlichen Sicherheitskräfte verloren haben. Zu Beginn gab es nur Schuldzuweisungen, erzählen die Frauen in der Stadt Dhangadhi. Suman Sharma, die Vorsitzende der Gruppen in der Region, formuliert es so: „Wir haben immer die andere Seite für den Tod unseres Mannes verantwortlich gemacht und für die harte Lebenssituation, mit der wir danach zurechtkommen mussten.“ Die Maoisten sind schuld, sagten die einen. Die nepalesische Armee und die Polizei sind schuld, sagten die anderen. Suman Sharma: „Wir konnten nicht miteinander sprechen.“

Gemeinsame Vergangenheitsarbeit und Empowerment

WHR und der ZFD boten Schulungen an. „Einige von uns haben sich zu Konflikt-Beraterinnen ausbilden lassen“, berichtet Suman Sharma. Sie besuchten die Gruppen, die nichts miteinander zu tun haben wollten. „Wir stellten fest, dass wir alle den gleichen Schmerz haben“, erzählt Suman Sharma, „wir legten unsere Gruppen zusammen, überwanden unsere Scham, erzählten uns unsere Geschichten, weinten zusammen, trösteten uns gegenseitig“.

Jetzt vertreten sie gemeinsam ihre Belange gegenüber Bürgermeistern, der Distrikträtin, der Provinzregierung. Viele Frauen konnten an Schulungen in Gartenbau oder Viehzucht teilnehmen, damit sie sich auch alleine versorgen können. Manche Gruppen überzeugten ihre Gemeindeversammlung, ihnen ein Stück Land zur Verfügung zu stellen, das sie nun gemeinsam bewirtschaften. Eine der Gruppen betreibt eine kleine Manufaktur zur Herstellung kompostierbarer Damenbinden. Einige der Frauen haben es bei den letzten Wahlen bis in die Gemeinderäte geschafft.

Auf Drängen der Frauen wird in der Gemeinde Kailary nun auch ein Gedenkzentrum gebaut. Im Rohbau ist es bereits fertig, auch Nachbargemeinden beteiligen sich an der Finanzierung. Das Zentrum wird einer der wenigen Erinnerungsorte in Nepal, an dem das Leid betroffener Frauen öffentlich anerkannt werden wird. Suman Sharma zeigt, wie sie sich die rückwärtige Wand des kleinen Saales vorstellt. Mit Informationen, Fotos der Verstorbenen und Vermissten und Erinnerungsstücken. Auf dem Platz vor dem Gedenkzentrum wollen sie ein Kunstwerk erreichten, das vor allem die Stärke der Frauen zeigt. Viele Menschen sollen hier miteinander ins Gespräch kommen. WHR wird die Frauen vor Ort und den Gemeinderat bei der Entwicklung ihrer Erinnerungskultur und Ausstellungskonzeption weiterhin unterstützen.


Der Text (gekürzt und leicht überarbeitet) stammt von Peter Dietzel, Regionalkoordinator des ZFD-Trägers KURVE Wustrow in Nepal. Die ungekürzte Reportage wurde unter dem Titel „Die Farben von Kailali“ in der Zeitschrift Südasien 2/2022 veröffentlicht. Sie können den Text in voller Länge hier downloaden.

Mehr über das Projekt erfahren Sie in unserer Projektdatenbank und auf den Seiten von KURVE Wustrow. Weitere Informationen zur einjährigen Kampagne anlässlich des 75. Jahrestags der Verabschiedung der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte im kommenden Jahr finden Sie auf den Seiten der Vereinten Nationen.