Dialog schafft Demokratie: Konflikte um Teilhabe und Ressourcen werden gemeinschaftlich verhandelt
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2020 bis 2023Konfliktkontext: Bolivien befindet sich seit der Jahrtausendwende in einem tiefgreifenden sozialen und politischen Wandel. Nach Jahren politischer Instabilität wurde 2005 die Partei MAS (Movimiento al Socialismo) unter Evo Morales an die Macht gewählt. Damit wurde zum ersten Mal ein Vertreter der indigenen Bevölkerung Staatspräsident. 2009 und 2014 wurde er im Amt bestätigt. Unter Morales erhielt Bolivien 2009 eine neue Verfassung als interkultureller und „plurinationaler“ Staat. Der damit verbundene Umbau des Staates birgt Chancen, verstärkt jedoch auch mitunter Interessenkonflikte zwischen Regierung, indigenen Organisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen. Die Gesellschaft ist nach wie vor durch Ungleichheit geprägt. Die Armut ist trotz beachtlicher Fortschritte weiterhin groß, vor allem im ländlichen Raum und innerhalb der indigenen Bevölkerung, die mit 40 bis 60 Prozent etwa die Hälfte der Bolivianerinnen und Bolivianer ausmacht. Ihre soziale, politische und wirtschaftliche Beteiligung bleibt eine Herausforderung. Hinzu kommen Konflikte um Ressourcen, insbesondere Wasser und Boden. Diese Konflikte können vor dem Hintergrund existentieller Sorgen schnell eskalieren und in Gewalt münden. Zumal auch der Unmut über Politik und Staat wieder wächst. Trotz wichtiger Reformen konnte Evo Morales viele Erwartungen nicht erfüllen. Außerdem war sein Handeln zunehmend auf Machterhalt ausgelegt und von autoritären Tendenzen geprägt. So wurde etwa der Handlungsspielraum von Opposition, Zivilgesellschaft und Presse massiv beschnitten. Dies führte zu wachsendem Widerstand, der sich immer häufiger in Streiks, Straßenprotesten und Blockaden äußerte. Ein erhöhtes Konfliktpotenzial besteht auch bei geplanten Infrastrukturprojekten, dem Abbau von Bodenschätzen und der Ausweitung industrieller Landwirtschaft. Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 wurde Evo Morales zunächst zum Wahlsieger erklärt. Da es bei der Stimmenauszählung zu Unregelmäßigkeiten gekommen war, brachen in zahlreichen Städten wochenlange Proteste aus. Am 10. November kündigte Morales zunächst Neuwahlen und schließlich seinen Rücktritt an. Am 12. November erklärte sich Jeanine Áñez zur Interimspräsidentin. Die für den 3. Mai 2020 vorgesehenen Neuwahlen wurde aufgrund der Corona-Pandemie auf den 18. Oktober 2020 verschoben. Auch wenn es unmittelbar vor den Wahlen vereinzelt zu gewalttätigen Übergriffen kam, verlief der Wahlgang selbst ohne nennenswerte Vorkommnisse. Entgegen der meisten Meinungsumfragen stand der neue Präsident bereits nach dem ersten Wahlgang fest: Luis Arce Catacora, langjähriger Wirtschaftsminister unter Evo Morales.
Projekt: Der ZFD unterstützt zivilgesellschaftliche und staatliche Akteurinnen und Akteure im bolivianischen Tiefland dabei, Konflikte um soziale Teilhabe und natürliche Ressourcen konstruktiv zu bearbeiten. Dazu werden Dialogprozesse angestoßen und begleitet. Das Projekt stärkt dabei insbesondere indigene Völker, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Frauen darin, ihre Interessen einzufordern, ihre Rechte durchzusetzen und ihre Mitsprache bei öffentlichen Entscheidungsprozessen zu erhöhen. Der Umbau Boliviens sieht eine Dezentralisierung der öffentlichen Verwaltung vor. Dadurch erlangen politische Entscheiderinnen und Entscheider vor Ort mehr Befugnisse. Hier gilt es demokratische Strukturen auszubauen und zu festigen, etwa bei der Erarbeitung der neuen Gemeindeverfassungen. Werden diese gemeinschaftlich unter Mitwirkung aller Bevölkerungsgruppen erstellt, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratisierung getan, der auch ein friedliches Zusammenleben befördert. Fachkräfte des ZFD begleiten diese Prozesse als allparteiliche, vertrauenswürdige dritte Partei. Dass sich dieser (mitunter langwierige) Weg lohnt, zeigen die inzwischen vorliegenden Ergebnisse, zum Beispiel im Landkreis San Ignacio de Velasco. Die hier erstellte Gemeindeverfassung ist ein echtes Gemeinschaftswerk, das die Position der indigenen Chiquitanos, die Bevölkerungsmehrheit im Landkreis, im Vergleich zu früher stärkt. Der ZFD hat den Dialog in San Ignacio de Velasco seit 2011 in Kooperation mit den Nichtregierungsorganisationen (NRO) TIERRA und ACOVICRUZ unterstützt. Die Fachkräfte des ZFD beraten und schulen außerdem ihre Partnerorganisationen, aber auch staatliche Stellen in gewaltfreier Kommunikation und Konfliktanalyse und -bearbeitung. Auf diese Weise werden auf lokaler, aber auch auf regionaler und nationaler Ebene Prozesse angeregt, die das Konfliktpotenzial mindern und stattdessen ein friedliches Zusammenleben befördern. So hat beispielsweise ACOVICRUZ ein System zur Bearbeitung von Bürgerbeschwerden entwickelt und in zwei Landkreisen eingeführt. TIERRA hat im Amazonastiefland einen interkulturellen Dialog zum Management natürlicher Ressourcen zwischen indigenen Völkern und Binnenvertriebenen angestoßen. Die Umwelt-NRO FCBC hat Dialogplattformen zum Management von Naturschutzgebieten in verschiedenen Gemeinden der Chiquitania-Region eingerichtet.